Märtyrer

Tragödie

von

„Im Vorwort zu seinem Essayband ‚Goethes Geistgestalt‘ umreißt Albert Steffen die Mission des Dichters also: ‚Ich betrachte die Aufgabe des Dichters, um es ganz schlicht zu sagen, darin, Bausteine zu einer im Geiste verjüngten Menschheit, zu einer neuen Erde beizutragen.‘ In der gegenwärtigen Krisis einen scheinbar aussichtslosen Kampf um die Genesung der Menschheit von den verheerenden Einflüssen des Antichrists auszufechten, dazu braucht es einen Dichterdenker, hinter dessen Werk eine christliche Weltanschauung steht. Albert Steffen wird zum ‚Rufer in der Wüste‘ und versucht mit seinem Werk, uns Kraft zu Besinnung und Umkehr zu geben, ehe es dafür zu spät ist. Von Dornach aus, wo er schon einige Jahrzehnte wirkt, ließ er im Juni vergangenen Jahres zusammen mit seinem Gesinnungsfreund Nationalrat Dr. Emil Anderegg ein Postulat ins Volk hinausgehen, das seiner humanitären Gesinnung wegen von gegen 50 Nationalräten aus allen politischen Lagern und noch einigen Ständeräten mitunterzeichnet wurde. Vom Geiste Henri Dunants, des Begründers des Roten Kreuzes beseelt, forderte Steffen im Kriegsfalle für Verwundete, Greise, Frauen, Kinder und Kranke sogenannte ‚Zones de sécurité‘ und die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften unterstützte diesen Vorschlag in einem Schreiben an den Vorsteher des Politischen Departementes, damit der Gedanke auf allen internationalen Konferenzen verteidigt werde. Der Dichter, der wie Dunant ‚ein Jünger Christi wie im ersten Jahrhundert‘ sein will, hat die hohen Gedanken auch in einem Drama künstlerisch zu gestalten versucht (fertiggestellt bereits im Frühjahr 1940, aber erst 1942 veröffentlicht) und das Basler Stadttheater brachte die Tragödie zur Uraufführung.
Wenn sich der Vorhang hebt, sieht sich der Zuschauer in eines jener Reservate der Menschlichkeit, in eine Spitalstadt am Ende des 20. Jahrhunderts versetzt. Dem Präsidenten des Roten Kreuzes kommt der Befehl des Feldherrn zu, die Stadt unter Zurücklassung der kriegsverletzten Krüppel und Unheilbaren evakuieren zu lassen. Allein der Präsident sähe darin Verrat an Dunants Werk; mit seinen Mitarbeitern verbleibt er bei den Kranken und wird deshalb von den einziehenden Truppen vor Kriegsgericht gestellt werden. Der machtgierige und machtberauschte Feldherr trifft den Präsidenten des Roten Kreuzes im Schauspielhaus, wo Kriegsverletzte ein gleichnishaftes Stück, den Sklavenaufstand des Spartakus in Rom 75-71 v.Chr. behandelnd, einüben und dem Vernichter allen menschlichen Lebens auch sogleich vorspielen wollen; denn selbst angesichts des Todes glauben sie an das Wort des Dichters. Während die Vorstellung vor dem einzigen Zuschauer stattfindet, werden die Vertreter der Humanität, der Präsident des Roten Kreuzes und seine Mitarbeiter, füsiliert. Durch ihr Märtyrertum und ihren Glauben bleiben sie aber trotz des leiblichen Todes reale, gegenwärtige Wesen, so daß der Feldherr angesichts des Geschauten den Verstand verliert und in geistige Umnachtung sinkt. Trotz seiner Verderben bringenden antichristlichen Devisen, welche die Vernichtung allen lebensunfähigen Lebens gebieten, wird er nun vom Roten Kreuz gehegt und gepflegt, denn auch ‚unheilbares Leben ist heilig‘, begründet die Krankenschwester ihr Tun.“ (F.K.M. in seiner Besprechung der Uraufführung der „Märtyrer“ im Stadttheater Basel am 17. September 1947. „Der Landbote“, Winterthur, 20.September 1947)