Mallorca erzählt – Literatur der Balearen

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‚Die prächtige Schwarze erhob sich, reckte die angeketteten Arme in die Höhe, sagte seltsame Worte, und die Angreifer knieten nieder und verbeugten sich vor ihr. Danach sprach sie in verworrenen Worten zu Tomeu Miserol: Sie heiße Motxuí Copcupà und sei die Königin des Stammes von Txadtxad Sambasí, ein feindlicher Stamm habe sie zusammen mit einer Reihe ihrer Untertanen gefangengenommen, während sie das Fest des Truthahnes gefeiert hätten, des Symbols der vulkanischen Fruchtbarkeit. Tomeu verneigte sich verdutzt vor ihr. Die Königin schlug ihm vor, daß, wenn die noch verbliebenen Weißen sich verpflichteten, die Brigg zur Küste von Txadtxad zu steuern, ihr Leben verschont werde. Andernfalls würden sie ihnen die Kehlen durchschneiden. Miserol, zitternd wie Espenlaub, stammelte sogleich seine Zustimmung.‘

Im Gewande eines Romans präsentiert Baltasar Porcel seinen Leserinnen und Lesern in Verstorbene unter blühenden Mandelbäumen eine Sammlung von seltsamen, bisweilen sogar skurrilen Anekdoten und Episoden, die gelegentlich an klassische Kalendergeschichten erinnern, ohne jedoch in einer expliziten Moral zu münden: Es sind Geschichten kleiner Leute. Zusammenhalt gibt ihnen neben dem Schauplatz Andratx die Figur des Ich-Erzählers, der, obwohl namenlos, deutliche Züge eines alter ego des Autors aufweist. Durch seine Schilderung merkwürdiger Begebenheiten mit sonderbaren Gestalten des Dorflebens entsteht vor dem inneren Auge der Leserin ein buntes Panoramabild einer kleinen Ortschaft, in der wie in einem Hohlspiegel alltäglich Banales mit der großen Weltgeschichte verschmilzt. Dabei besteht für Porcel zwischen Roman und kurzer Erzählung kein Gegensatz: Er sieht sie als einander ergänzende literarische Formen und versteht es immer wieder, daraus eine Einheit zu weben.

Baltasar Porcel, geboren 1937 in Andratx (Mallorca), ist einer der bekanntesten Autoren der katalanischen Gegenwartsliteratur. Seine erste Erzählung veröffentlichte er 1956. 1960 zog er von Mallorca nach Barcelona, wo er bis heute lebt und wirkt. Seine Werke sind eng mit der Welt des Mittelmeerraumes verbunden. Häufig siedelt er sie auf Mallorca, insbesondere in Andratx, an. Mit außergewöhnlicher Sprachgewalt zeichnet er ein Sittengemälde der mediterran geprägten Welt der Balearen und verknüpft dabei magische, mythische und poetische Elemente mit realistischen Szenarien. Sein literarisches Werk wurde vielfach mit angesehenen Literaturpreisen ausgezeichnet. Baltasar Porcel ist nicht nur literarisch tätig, sondern auch regelmäßiger Mitarbeiter diverser Tageszeitungen, vor allem von La Vanguardia, und im Rundfunk und Fernsehen häufiger Gast.