Mein Großvater war ein Kontinentenpendler

von ,

„Mein Großvater war ein Kontinentenpendler. Mit siebzehn ist er das erste Mal nach Amerika gefahren. Sein Onkel hat ihn drüben in einer Fleischfabrik untergebracht. Nach drei Jahren ist er wieder heimgefahren … Mein Vater ist ein Wochenpendler geworden. Unter der Woche hat er in der Hauptstadt am Bau gearbeitet, am Wochenende zu Hause in der Landwirtschaft … Ich pendle vier Mal die Woche in die Stadt. Meine Strecke führt über Wolkersdorf und Floridsdorf nach Wien Landstraße“. So beginnt das literarische Schnellbahntagebuch von Ulrike Winkler-Hermaden. Sie schildert ihre Beobachtungen und Begebenheiten auf der täglichen Fahrt nach Wien und zurück. Die Erzählerin belauscht Unterhaltungen und Telefonate, denkt sich ihren Teil dazu und spinnt manches zu Geschichten aus. Einige Streckenabschnitte erkundet sie zu Fuß, um Dinge, die ihr im Vorbeifahren auffallen, aus der Nähe zu betrachten. Sie tauscht sich mit anderen Pendlern über die Annehmlichkeiten und Ärgernisse des Bahnfahrens aus, manchmal steigen Bekannte zu, und so wird der Schnellbahnwaggon zu einer Art zweitem Zuhause. Die kurzen Episoden bestechen durch Genauigkeit der Beobachtung und die hintergründige Ironie der Kommentare.