Meine große Liebe
Der Unteroffizier wollte mich unbedingt mit seiner Tochter verheiraten. Er schwärmte mir immer vom Mühltal und von Mariahilf, einer Wallfahrtskirche auf dem Berg jenseits des Inns, vor. Er meinte, ich solle mir das an einem Sonntag einmal anschauen, weil ich da sicher ein schönes Motiv zum Malen finden würde. Gleich in der Nähe wohnte nämlich der Unteroffizier mit seiner Tochter. Fast wäre sein Plan aufgegangen.
Ich bin von Mariahilf in das Mühltal hinuntergegangen, unten führte eine kleine Brücke über einen Bach. Es war auch wirklich eine wunderschöne, romantische Gegend. Auf der anderen Seite des Bächleins bin ich dann auf den „Schlagetterberg” hinaufgegangen. Schlagetter wurde nach dem Weltkrieg von den Franzosen ermordet und so zum Volkshelden. Auf halbem Weg setzte ich mich auf eine Bank und sah ins Tal hinunter. Dort unten erblickte ich zwei Mädchen. Nur so zum Zeitvertreib nahm ich einen Kieselstein in die Hand und warf ihn hinunter. Eigentlich wollte ich nur sehen, wo denn der Stein landen würde. Er flog ziemlich weit, rollte unten über die Straße und landete genau vor den Füßen des Mädchens, das später meine Frau werden sollte. Das Mädchen war etwas überrascht und schaute, wo das Steinchen wohl herkam. Natürlich hatte es mich entdeckt. Das war vielleicht peinlich.
Ich bin dann weitergegangen und setzte mich später auf dem Schlagetterberg noch einmal auf eine Bank. Dort betrachtete ich das Foto meines Vaters, der im Januar diesen Jahres (1940) gestorben war. In Passau ließ ich mir nämlich Fotos von meinem Vater nachmachen. Diese hatte ich gerade vorher bekommen, und auf der Bank konnte ich sie mir in aller Ruhe ansehen. Ich saß da völlig in Gedanken versunken, als ich so ganz nebenbei bemerkte, dass eines der Mädchen den Weg heraufkam und an mir vorbeigehen wollte. Ungefähr zwei Meter vor der Bank endeten die Treppen von unten herauf, und der Weg führte direkt an mir vorüber. Als die junge Frau die letzten Stufen heraufstieg, schreckte ich aus meinen Gedanken auf, hob den Kopf und blickte ihr direkt in die Augen. „Hat die schöne Augen!”, musste ich unwillkürlich denken. Und sie musste gespürt haben, was ich dachte. Da sie einen Augenblick lang mit dem Weitergehen zögerte, fragte ich, wo sie denn hinginge. Sie antwortete, dass sie gerade Veilchen gepflückt hätte und nun auf dem Weg nach Hause sei. Dann wollte sie wissen, was ich denn hier täte. Da berichtete ich ihr von den Fotos und von meinem Vater. Ich lud sie ein, sich zu mir auf die Bank zu setzen und es entwickelte sich ein stundenlanges Gespräch.
So blau, wie der Himmel gerade noch war, so plötzlich zog ein Gewitter herauf. Von einer Minute auf die andere fing es an zu regnen. Wir mussten uns schnell entscheiden, wohin wir jetzt gehen sollten. Ich wollte hinunter, doch sie wusste ganz in der Nähe eine Hütte, in der wir uns unterstellen konnten bis das Gewitter vorbei war. Mittlerweile wurde es dunkel. Nachdem sich das Unwetter verzogen hatte, stiegen wir gemeinsam den Hammerberg hinunter. Auf der Brücke, über die ich am Nachmittag schon einmal gegangen war, hielten wir inne und fanden uns kurz darauf wieder in einem angeregten Gespräch. Wir bemerkten nicht, wie die Zeit verging. Gegen 22.00 Uhr sagte sie, dass sie jetzt unbedingt gehen müsse, sonst würde sie von ihrer Mutter wieder geschlagen. Ich konnte das kaum glauben, aber sie beteuerte, dass sie immer genau Rechenschaft ablegen müsse, wo sie gewesen sei. Sie würde sehr streng kontrolliert. Nichts dürfe sie ohne die Zustimmung ihrer Mutter tun. Anschließend trennten wir uns. Unsere Adressen tauschten wir nicht aus, denn ich dachte nicht, dass wir uns vielleicht noch einmal sehen würden. Doch das Schicksal hatte etwas anderes für uns vorgesehen.
Am 1. Mai zog es mich wieder nach Mariahilf hinauf. Das Mädchen, das ich kennen gelernt hatte, war beim „Bund Deutscher Mädel” und sollte eigentlich an den damals üblichen Maiaufmärschen teilnehmen. Sie hieß Frieda, aber den Namen kannte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich erfuhr ihn erst später, als Frieda mir einen Brief in die Kaserne schickte, auf dem sie mit ihrem Namen unterschrieben hatte.
Als ich also schon wieder in Richtung Kaserne unterwegs war und gerade über die Innbrücke ging, kam Frieda mir entgegen. Sie sei auf dem Weg zu dem Aufmarsch, erklärte sie. Wir kamen wieder ins Reden, und schließlich meinte sie, dass sie nun doch nicht bei dem Aufmarsch dabei sein, sondern lieber nach Hause umkehren wolle. Da habe ich sie begleitet.
Unterwegs überlegten wir es uns doch noch einmal anders und beschlossen, gemeinsam auf den Schlagetterberg hinauf-zugehen. An diesem Tag wurde es ziemlich spät. Ich weiß gar nicht mehr, was es war, aber irgendwie ist es zu einer Unstimmigkeit gekommen, und wir sind getrennten Weges nach Hause gegangen. Ich dachte mir: „Na, es hat halt nicht sollen sein!” Aber ein paar Tage später kam ein Brief von ihr in die Kaserne. Darin stand, dass sie sich sehr über ein Wiedersehen freuen würde, und nannte auch gleich einen Ort und einen Zeitpunkt für das Treffen. Wir sahen uns wieder und daraus wurden 58 gemeinsame Jahre.
- Veröffentlicht am Freitag 19. Dezember 2025 von Chronarium Verlag
- ISBN: 9783938820001
- 114 Seiten
- Genre: Belletristik, Romanhafte Biografien
