MENSCHEN UND ORTE

Leben und Lebensorte von Schriftstellern und Künstlern

von ,

Vierzehn entbehrungsreiche Exiljahre liegen
hinter ihr, als Netty Reiling, genannt Anna
Seghers, im Frühjahr 1947 endlich und endgültig
in die Stadt zurückkehren konnte, aus der
man sie als kommunistische Schriftstellerin,
als deutsche Jüdin und antifaschistische
Widerstandskämpferin einst vertrieben hatte:
Berlin. Hier gilt es für die Rückkehrerin und
Erfolgsautorin des Romans Das siebte Kreuz, ihre
Lebensaufgabe entschlossen fortzuführen:
mitzuwirken am Aufbau einer antifaschistischdemokratischen
Friedensordnung und ein
nationales bedeutendes Werk zu schaffen.
Doch das politische Reizklima im krisen- und
konfliktgetriebenen Nachkriegsberlin erweist
sich diesem Vorhaben gegenüber alles andere
als günstig. Umso unentbehrlicher musste der
Weltbürgerin ihr Arbeits- und Lebensdomizil
in Adlershof werden. Der ruhige, im Berliner
Osten gelegene Ortsteil mit seiner beschaulichen
Vorstadtatmosphäre erlaubte ihr nicht nur
den erholsamen Abstand zur öffentlichen Viel-,
ja Überbeanspruchung als Mitbegründerin und
Repräsentantin der DDR-Literatur. Mit der
unspektakulären und äußerst bescheiden eingerichteten
Wohnung in der Volkswohlstraße
(heute Anna-Seghers-Straße), die sie 1955
zusammen mit ihrem Mann Rodi bezog, fand sie
zugleich den inneren Anker in stürmisch
bewegter Zeit. Ein Domizil, in dem ihr bis zum
Lebensende die Erzählstoffe zuwuchsen,
unabhängig von allen bitteren Erfahrungen, und
das lebenslang ein Bienenstock blieb für ihre
engsten Freunde.