Michael Nether. On Stage

Als sich Michael Nether Ende der 1960er Jahre nach Berlin aufmachte, kam er in eine Stadt, die, ähnlich wie in den ‚roaring twenties‘, eine enorme Anziehung auf junge Intellektuelle und Künstler ausübte. Protestdemonstrationen, Happenings, die Kommune 1 mit Rainer Langhans und Uschi Obermeier und überall endlose nächtelange Diskussionen. In skandalträchtigen Theateraufführungen und legendären Konzerten mit Musikern wie Bob Dylan, Mick Jagger, Leonard Cohen und George Moustaki kam ein neues Lebensgefühl zum Ausdruck. Unvergeßlich zudem Klaus Kinski mit seiner Jesus-Performance und seinen anderen Darbietungen. Nether war hier stets auf Augenhöhe – ‚on stage‘ –, auch mit den Stars des inter-nationalen Films wie Claudia Cardinale, Roman Polanski, Peter Ustinov oder Pier Paolo Pasolini.
Eines seiner ersten Photos war die Szene einer Studentende-monstration an der Berliner Gedächtinskirche im Jahr 1969. Menschenmassen ziehen durch die Straßen, beobachtet von zahllosen neugierigen Passanten, die Polizei ist mit Mannschaftswagen ange-rückt. Die Komposition des Bildes kann kaum zufällig entstanden sein. Häuserfronten und Autos sind Fixpunkte, an denen sich die Menschen wie eine große Schlange vorbeiwinden. In der oberen Mitte des Bildes ist ein helles Licht zu sehen. In dem Photo ist die Aufbruchstimmung und der Seelenzustand einer ganzen Genera-
tion verdichtet. Nether hat sich hier als stimmiger Dokumentarist erwiesen.
Gegen Ende der 1970er-Jahre kehrte Nether in seine schwäbi-sche Heimat zurück. Hier machte er sich mit einem Partner selbständig, arbeitete für Werbeagenturen – so photographierte er unter anderem bei Porsche im Entwicklungszentrum der Firma
in Weissach –, aber er machte sich auch nach und nach als Photo-Künstler, mit eigener Galerie in Bietigheim-Bissingen, einen Namen. Vor allem mit Photos von Prominenten, wie Wolf Biermann, Martin Walser, Woody Allen oder Helmut Newton, sowie zahlreichen Photos von Aufführungen des Stuttgarter Balletts, aber auch von Menschen ‚von der Straße‘. Ihm gelingt es, auf diesen Photos mit den Betroffenen auf eine leise Art zu kommunizieren und diesen Dialog sichtbar zu machen. Heute gilt sein Hauptinteresse der Porträt- und Aktphotographie.