Nadelstiche

Lyrik des Exils und des Widerstandes

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Arno Reinfrank hat ein gewaltiges lyrisches Werk hinterlassen. Einer allzu strengen Rhythmisierung, einer allzu heiklen Wahl des Reims oder Beachtung des Gleichklangs war er abhold. Sein Gedicht sollte kein geschlossenes Gehäuse sein, es sollte Einbruchsstellen für Reminiszenzen auf Liedhaftes aufweisen, Unterbrechungen, an denen jähe Wendungen ansetzten konnten, Wörter, die sich der Versifizierung widersetzten, sich gegen den glatten Fortgang behaupteten. Er, der seine lyrischen Formen in schöner Mannigfaltigkeit zu meistern wußte, legte keinen Wert darauf, Meisterschaft zu demonstrieren. Das Verhältnis von Poetischem und Prosaischem faszinierte ihn nicht außerhalb des Gedichts, sondern im Bering des Gedichts selbst.
Vollends mit seiner Poesie der Fakten betrat er ein Gebiet, das wahrhaft das seine war: die Deklination von Mohn und Rosen auszudehnen auf die Konjugation wissenschaftlicher Ergebnisse und technischer Erfindungen.
Auch hier ging es ihm um Würde, zunächst mehr noch um Einspruch gegen jene Würdelosigkeit, die in ohnmächtiger Scham das sich auftürmende Technisch-Wissenschaftliche als eine Übermacht hinnimmt, der man sich, sich ihrer eigentlichen Bedeutungslosigkeit versichernd, zugleich unterwirft. Das Eigentliche und sein Jargon waren ihm zuwider. Er wollte keinem hochgeistigen Bunde angehören, in dem sich ein Männervolk zumeist wechselseitig Authentizitäts-Ausweise ausstellt. Für ihn war das wie Bierdunst von schlecht gescheuerten Dielen. Wobei diese Authentizität im Nachkriegsdeutschland, im postfaschistischen Europa eine lügenhaft Zusammengeschusterte war; sie beruhte auf einer Kunst der Verallgemeinerung, des Fixierens metaphysischer Ausgangspunkte, die so hoch über den Dingen lagen, daß sie das nicht allzu lange zurückliegende Massenmorden weder bemerken noch erinnern konnten.
Arno war modern, denn er lebte in seiner Zeit mit offenen Augen, was er schrieb, war „tua et sua res agitur“.