Nowack

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Monika, Beate, die Sechszwölfteljungfrau – Harry Nowack muss seine Frauengeschichten irgendwie unter einen Hut bringen. Wäre das Leben doch nicht so kompliziert! Harry ist notorisch pleite und seinem Freund Drogenpeter geht es auch nicht besser. Er wird von ihm immer wieder – mit reichlich leeren Versprechungen – angepumpt: „Nur dies eine Mal noch…“
Harry ist ein typischer Ruhrgebiets-Schluffi, lange bevor es Theo mit dem Rest der Welt aufnahm. Er lässt sich am liebsten treiben, hängt in Bistros ab und geht auf Drogentrips. Arbeit ist für ihn ein Fremdwort. Seinem Job als Fotograf geht er
nur dann nach, wenn mal wieder absolute Ebbe in der Kasse ist. Dabei ist er ein wirklicher Könner seines Fachs. Und ein Glückspilz. Bei seinen Streifzügen durch die Dortmunder Innenstadt kommen ihm die spektakulärsten Fotomotive vor die
Kameralinse. So etwas spricht sich herum. Selbst „die Bullen“ klopfen bei ihm an und versuchen, ihn für einen – allerdings höchst dubiosen – Auftrag anzuheuern. So könnte es ewig weitergehen, wenn sich nicht die Sechszwölfteljungfrau in den
hippen Womanizer verguckt hätte und bei ihm einziehen will. Der männerverzehrende Vamp – eine klassische Blondine wie aus einer Charles Wilps Isenbeck-Reklame entsprungen – schwimmt im Geld, fährt reihenweise teure Luxus-Karossen
zu Schrott und trägt nur exklusivste Designer-Mode. Aus einer Laune heraus macht sie Harry das Angebot, ihren schwerreic hen Mann umzubringen. Während zur selben Zeit ein Manager-Entsorgungsinstitut bei Harry anklopft und rosarote
Werbefotos in Auftrag gibt… Wie soll er da einen klaren Kopf behalten? Wolfgang Körners Roman „Nowack“, der die Vorlage dieser szenischen Collage abgab, bietet ein schillerndes Porträt der wilden 1960er Jahre. Er greift das Lebensgefühl der Zeit auf, wirft aber auch einen Blick auf den politischen Alltag, auf Strukturwandel und Zechensterben, amateurhaften politischen
Aktionismus, sexuelle Befreiung und eine durch die Wirtschaftswunderzeit ausgelöste politische Apathie. Der Romanschluss bietet eine Orwell’sche Vision der Auswüchse einer Leistungsgesellschaft, die auf dem besten Wege ist, an sich selbst zugrunde zu gehen. Statt selbstständiges Denken sind „happy pills for everyone“ an der Tagesordnung. In dieser Hinsicht weist Körners Roman geradezu hellsichtige Qualitäten auf. „Nowack“ wird zurzeit auf mehreren Ebenen neu entdeckt. Unter anderem erschien 2014 ein Romanreprint, der eine thematische Verwandtschaft des Romans zu Antonionis Film „Blow up“ herausstellte. Im Erscheinungsjahr des Romans, 1969, war eine Verfilmung im Gespräch, die jedoch nicht verwirklich
wurde. Wolfgang Körner zufolge entspricht die vorliegende Hörcollage genau seiner damaligen Intention, eine aus den Fugen geratene Welt in Form einer vitalen Groteske zu inszenieren.