On Alice

Eine Anrufung

von

Seit ihrem postum erschienen Tagebuch gilt Alice James (1848–1892) als eine Ikone des frühen Feminismus. Und doch ist ihr Name bis heute weitgehend unbekannt. Erst wenn die Sprache auf ihre Brüder kommt – auf Henry James, den Romancier, und William James, den Philosophen und Psychologen – oder auf Susan Sonntag, die ihr ein Theaterstück widmete, weiß man sie einzuordnen. In Simone Scharberts Prosadebüt nimmt Alice James endlich die zentrale Position ein, die ihr zeitlebens nie zustand: Sie selbst ist die Adressatin dieser Anrufung.
In einem reißenden Strom von Bildern, Assoziationen und Zitaten wird die Tragödie dieses Lebens greifbar: Die Tragödie einer Frau, die in einem intellektuellen Haushalt aufwächst, der aber der Zugang zu Bildung und Studium verwehrt bleibt. Einer Frau, die gegen das Stigma der Hysterie-Diagnose ankämpft, von den Brüdern benutzt als Material für ihr Schreiben und ihre Studien, von den Ärzten als Testobjekt für pseudowissenschaftliche Therapiemethoden. Einer Frau, in deren dysfunktionalen, von Krioline, Mieder und gesellschaftlichen Konventionen eingeschnürten Körper ein intellektuell wacher Geist wohnt.