Piero Dorazio. Die künstlerische Formierung bis 1959

Die künstlerische Formierung bis 1959

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Der heute vierundsiebzigjährige Piero Dorazio ist eine der herausragenden Persönlichkeiten der italienischen Kunstszene und gehört zu den Wegbereitern der Abstraktion in Italien. Ästhetische Positionen abstrakter Malerei vertritt der gebürtige Römer seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor allem in seiner Bildsprache, aber auch als Verfasser kunsttheoretischer Schriften. Ausgehend von Benedetto Croces Geschichtsphilosophie ist auch er davon überzeugt, dass künstlerisches Schaffen aus historischen Kontinuitäten erwächst. Da nach Dorazio «ein Bild auf dem anderen aufbaut», studierte und analysierte er weite Teile der Europäischen und ausserEuropäischen Kunst von der Antike bis heute. Spezielle Erkenntnisse zog er für sein Kunstwollen aus dem Werk der Renaissancekünstler Pollaiuolo und Raffael, dem OEuvre der französischen Impressionisten, der italienischen Futuristen, von Malewitsch, Mondrian und Kandinsky. Wichtige Wegbereiter und Freunde – um nur einige aufzuzählen – waren Braque, Matisse, Jean Arp, Balla und Severini, Alberto Magnelli, Rothko und Jackson Pollock. Aus Gesprächen und in der Auseinandersetzung mit ihnen, aber auch aus den Schriften von Henri Bergson, Benedetto Croce und Giuseppe Ungaretti gewann Dorazio wichtige Erkenntnisse für sein eigenes Schaffen. Historisch steht der italienischen Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts eine geradezu übermächtige Tradition des Figurativen gegenüber. Ausgangspunkt ist die in Italien allgegenwärtige Kunst der Renaissance und Antike. Diese Tradition wurde durch zwei politische Ereignisse während der frühen Reifezeit Dorazios noch ungleich verstärkt. Die Diktatur Mussolinis, während der ausschliesslich narrative, zur politischen Propaganda geeignete Kunst gefördert wurde. Nach Kriegsende setzte sich diese Haltung nahezu bruchlos, aber unter entgegengesetzten politischen Vorzeichen fort: Die auf dem Gebiet der Kunst und Kultur einflussreiche kommunistische Partei Italiens lehnte die Abstraktion aus denselben Gründen wie die Faschisten ab. Sie begünstigte den politisch einsetzbaren Sozialistischen Realismus und bekämpfte die Abstraktion.

Die vorliegende wissenschaftliche Monographie schildert die künstlerische Entwicklung des jungen Dorazio bis zur Entstehung seines unverwechselbaren Individualstils im engeren und weiteren historischen Kontext. Sie dokumentiert seine Positionsfindung als Maler und den Prozess der Internationalisierung der italienischen Kunst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges inmitten einer für die italienische Gesellschaft nur mit dem Prozess der nationalen Einigung vergleichbaren Umbruchzeit. Piero Dorazio hat für die Vorzugsausgaben, die neben der normalen Buchausgabe erscheinen, Aquarelle und Grafiken geschaffen (Einzelheiten siehe bibliographische Angaben).