Qualitäten des Verses

Essay

von

Makellose Verse – das zeigt Günther Debon in seinem Essay, der hier erstmals aus dem Nachlass veröffentlicht wird – gibt es die Menge; makellose Strophen schon weniger, makellose Gedichte sehr selten. Ein Gedicht, das nur aus vollkommenen Versen bestünde, würde leicht den Eindruck des Sterilen und Gekünstelten hinterlassen. – Beim „Messen“ der unterschiedlichsten Formen der Dichtung geht Debon von der Qualität im Sinne der Eigenschaft aus und gelangt unversehens zur Qualität im Sinne des Wertes. So schafft er Maßstäbe, nach denen ein Vers als gelungen oder bedenklich eingestuft werden kann. Dass der Sinn indes nicht messbar ist, liegt auf der Hand. Schon die Romantik hatte sich nicht selten an der Grenze des Unbegreiflichen bewegt, und spätestens Expressionismus, Symbolismus und Surrealismus scheinen sich der rationalen Betrachtung zu entziehen. Anders als an Schulen und Universitäten gelehrt sowie in der Forschung und Literaturkritik praktiziert, prüft Günther Debon Dichtung hier nicht ausschließlich auf ihren Inhalt hin: nicht literaturgeschichtlich, soziologisch, autobiografisch oder psychologisch. Er beleuchtet den Sinn des Verses in seinem Zusammenspiel mit der Form, da sie, grob gesprochen, die Hälfte des Kunstwerks ausmacht. Das handwerkliche Können, das oft wie selbstverständlich vorausgesetzt wird, rückt er in den Mittelpunkt seiner Betrachtung, will den Dichter mehr als Künstler denn als Künder verstehen.