QUELL – Eine Retrospektive

Der neue Katalog von Leopold Kogler

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Anfangen oder: Anything goes

Rückblickend sind die 1970er Jahre in Österreich ein Jahrzehnt unerhörten Aufbruchs.1 Dies gilt auch für die Kultur und Kunst. In einem Moment, als im Bereich der Kultur und Kunst die Wiener Moderne und insbesondere der Jugendstil eine beeindruckende Renaissance erfahren, entsteht auch im Bereich der zeitgenössischen Kunst eine neuerliche Virulenz für innovative Kunstformen.2 Der Beginn des künstlerischen Arbeitens von Leopold Kogler fällt in diese Zeit des neuerlichen Aufbruchs der österreichischen Gegenwartskunst, vor allem auch an der damaligen Hochschule für angewandte Kunst in Wien, wo er seine künstlerische Ausbildung beginnt. Insbesondere durch Oswald Oberhuber, Leiter der Meisterklasse für Gestaltung und einer der einflussreichsten Künstlerpersönlichkeiten in Österreich3, wird auch in diesem Bereich eine neue, avancierte Ära inauguriert.

In abrupter Weise ist Kogler mit für ihn neuen Vorstellungen des künstlerischen Arbeitens und Selbstverständnisses konfrontiert. Konzeptuelle und serielle Strategien werden vorrangig, die Malerei tritt in den Hintergrund, der von Oberhuber forcierte Begriff einer „Kunst ohne Künstler“ beziehungsweise das Konzept einer permanenten Veränderung des künstlerischen Arbeitens wird für sein Frühwerk bis Anfang der 1980er Jahre bestimmend.

Die bildnerische Verfahrensweise der Collage, Neue Medien, Fotografie, die Verwendung heterogener und neuer Materialien, die Auseinandersetzung mit Schrift und Text als visuelles Bedeutungssystem werden vorrangig und führen zu einer oft experimentellen Erweiterung des Kunstbegriffs. Diese Vielfalt eines „anything goes“, einem Slogan des in Wien geborenen Philosophen Paul Feyerabend4, wird zu einem Signum dieser Kunstepoche und zeichnet auch das frühe Werk von Leopold Kogler aus. Strategien der Entindividualisierung des künstlerischen Diskurses, die Einbeziehung von im ersten Moment nicht kunstfähigen Materialien oder die kritische Beschäftigung mit Skripturalem und dessen gesellschaftsanalytischen Möglichkeiten im Zusammenhang mit Bedeutungsherstellung und -dekonstruktion sind signifikante Momente dieser frühen Arbeiten. Die künstlerische Analyse von Kommunikation, das Decollagieren von Texten etwa mittels Letraset, die Untersuchung der Mechanismen zur Herstellung von Sinn durch Sprache und Schrift finden sich in einer Reihe von Arbeiten aus dieser Zeit.

Aber auch apparative Medien, wie das Arbeiten mit dem Super-8-Film oder Wirklichkeitsanalysen mittels Fotografie, spielen eine wichtige Rolle. Kogler eignet sich das technische Handwerk der Fotografie an und arbeitet auch in der Dunkelkammer. Es entstehen unter anderem eine Reihe von analytischen Selbstportraits. Das collageartige Überlagern, das Aufbauen von Bildschichten und Spiegelungen sind eine Befragung des Subjektbegriffs im Kontext strukturaler Debatten: Was ist ein Individuum? Wie frei ist es? Wie konstituiert es sich gesellschaftlich?

Es gilt das Ausloten von bildnerischen Möglichkeiten jenseits einer traditionellen Malerei; das Hinter-sich-Lassen konventioneller Vorstellungen von Bild und Subjekt in Form konzeptueller und vor allem serieller Verfahrensweisen sind prägende Parameter dieses heftigen Aufbruchs zu neuen Kunstwelten in den 1970er Jahren. Den dabei entstandenen Werkkomplex tituliert Leopold Kogler zutreffend mit „Déleméle“, mit „Allerlei“.

Vom Konzept zur Malerei

Nach diesen radikalen Kunsterfahrungen folgt eine kurze Phase künstlerischen Innehaltens („Ich bin für mich künstlerisch auf einem Nullpunkt angekommen“, so Kogler). 1982 bis 1984 fertigt er nochmals Materialcollagen (vor allem mit Mullbinden) an, wo er sich mit den Möglichkeiten des „Combine Painting“ auseinandersetzt; es entsteht eine kleine Arbeitsserie mit dem Titel „Verwundete Landschaften“ mit stark autobiografischen Implikationen, die bereits im Titel inhaltlich neue Perspektiven andeuten. Von da an beginnt Leopold Kogler, sich in intensiver Weise mit den Möglichkeiten der Malerei zu beschäftigen. Im Kontext der sogenannten „Neuen Wilden Malerei“, wie sie von einer jungen Künstlergeneration Ende der 1970er Jahre initiiert wird, realisiert er Farbexperimente und Farbselbstportraits im Spannungsfeld von figurativ und abstrakt, welche teilweise an seine fotografischen Arbeiten anknüpfen. „Ich wollte der Wildeste von den Wilden sein“, formuliert es der Künstler selbst.

Mit expressiv-exaltiertem Gestus, großer Intensität und Empathie entwickelt er daraus von 1984 bis 1988 seine erste große Malereiserie, die sogenannten „Images Déchirées“, die „Reißbilder“: Aus großen, bemalten Papierrollen werden Stücke herausgerissen, die Malerei aus geometrischen Formaten befreit, womit ein expressiver Bildbegriff geschaffen

und traditionelle Parameter wie oben, unten, rechts, links aufgehoben werden. „Farbakkorde“ und „musikalische Farbrhythmen“ bilden die Textur dieser Malerei, für die er Farbbeize, Teer, Bitumen, Leim, Harze und Farbpigmente zu verwenden beginnt. Diese Deformation der Bildfläche und des -formats bewirkt einen neuen Bildcharakter, führt zu einem fragmentarischen Bildverständnis und damit zu einem „offenen Kunstwerk“, wie es Umberto Eco in den 1960er Jahren formuliert.5 Der Werkkomplex der Reißbilder ist eine wichtige Erfahrungsgrundlage für die Weiterentwicklung seiner Malerei und markiert auch das Ende seiner neoexpressiven Werkphase.

Von der Malerei zur Natur

Ende der 1980er Jahre beginnt Leopold Kogler sich in vielfältiger Weise mit Natur zu beschäftigen, was in Folge bis heute sein künstlerisches Werk maßgeblich prägt. „In den 1970er Jahren war Natur für mich mit Arbeit verbunden, da ich aus einem Landwirtschaftsbetrieb komme; ich wollte weg vom

Land und die Stadt für mich bestimmend machen. Um 1990 entdeckte ich für mich das Land als neues schöpferisches Potential, nicht mehr die Großstadt Wien war im Fokus, sondern das Land und die Natur als Inspiration“, so der Künstler. Dabei entwickelt er eine Landschaftswahrnehmung jenseits einer Romantik oder einer Gegenstandslosigkeit. Es finden sich keine Verklärungen oder abstrakte Imaginationen, die Landschaft ist für ihn sui generis Lebens- und Kunstelixier.

Von der Natur zur Landschaft

Die neue, intensive Wiederbegegnung und künstlerische Konfrontation mit Natur rückt rasch die Landschaft in den Fokus seiner künstlerischen Überlegungen. Anfang der 1990er Jahre entstehen zwei wesentliche Serien in Mischtechnik auf Papier: „Tagweiden“ 1992 sowie „Landschaftsflimmern“ 1996. Zu den „Tagweiden“ schreibt Peter Zawrel: „Mit den aus 1992 vorliegenden Arbeiten ist Leopold Kogler ein entscheidender Schritt gelungen, die Möglichkeiten der schöpferischen Aneignung von Natur über den verbliebenen schmalen Raum zwischen Romantik und Politik auszuweiten mit einer Kunst, die gegenüber Interpretationen so bestehen kann wie ein gutes Gedicht: unangefochten.“6 Zu Recht spricht Maria Rennhofer in derselben Publikation in emphatischer Hinsicht von „Mitgefühl für Natur und Landschaft“, das sich in seinen Landschaftwerken manifestiert.

In vielen, zum Teil sehr umfangreichen Werkserien ist das Wahrnehmen von Landschaft selbst Thema. Ob Nah- oder Fernsicht, Horizont oder Brush-
wood, die Landschaft wird zu
einem künstlerischen „Scenario“ im Spannungsfeld von wilder, unberührter Natur und Naturimpression, die er in ein existentielles Vokabular der Malerei verwandelt. Durch bildnerische Rhythmisierung, Farbklang und chaotische Gesten verwandelt sich die Landschaft in eine Naturschrift der Malerei. Das Verhältnis seiner Bilder zur Natur ist dabei immer „tangential“, wie Peter
Zawrel anmerkt. Dabei ist für Leopold Kogler das Ausloten neuer bildnerischer Möglichkeiten ein wichtiger Aspekt
seines künstlerischen Selbstverständnisses.

Im Spannungsfeld von Grafik und Malerei impliziert der Zyklus „Tagweiden“ partiell einen stärkeren Malgestus. Auch hier ist die Landschaft „chaotische“ Natur im Sinne von Wildnis. Der Farbraum bewirkt dabei einen quasi unendlichen Naturraum mit stark abstrahierendem Gestus; erst durch die Titelei wird das Thema Landschaft greifbar, womit auch das Moment der Wahrnehmungsreflexion von Landschaft impliziert wird.7

Bis Anfang der 2000er Jahre lotet Leopold Kogler weitere Aspekte seiner Landschaftsreflexionen aus, wobei das Kompositionsprinzip (keine Bildhierarchisierungen, keine Zentrierungen, die gesamte Bildfläche ist gleichwertig) eine Naturanalogisierung darstellt, ohne jedoch in ein Abbilden von Landschaft und Natur abzugleiten. Klaus Albrecht Schröder weist auf den überraschenden lyrischen Charakter hin, insbesondere durch die Titelgebungen, die sich in den neuen Arbeiten zeigen.8 Die Flächigkeit wird vorrangig, eine zeichenhaftere Bilderzählung sowie die Verschränkung von Realem und Imaginärem sind eine neue emotionale Weise seiner Begegnung mit Natur, die, wie die Werke der 1990er Jahre generell, das Naturhafte der Landschaft betont.

Mit den Werkserien „Fernsicht“, „Nahsicht“ und „Horizonte“, die ab 2002 entstehen und bis in die 2010er Jahre erarbeitet werden, zeichnet sich ein weiterer Paradigmenwechsel ab: Die Thematisierung der Wahrnehmung von Landschaft selbst. Fernwahrnehmungen und Nahwahrnehmungen werden quasi kontraperspektivisch und dialektisch erkundet, wobei die Metaphorik des Horizonts zunehmend ins Blickfeld rückt. Im bildnerischen Blickwechsel von nah und fern, bei dem der Horizont sich aufzulösen beginnt und kein oben und unten mehr gegeben sind, verschwimmen Nähe und Ferne ineinander, indem Unschärfe zu einem konstitutiven Element nicht nur des Abstrahierens, sondern auch der Wahrnehmungsreflexion selbst wird. Mit dieser bildnerischen Verfahrensweise wird die Natur und Landschaft fast ins Transzendentale entrückt, was noch zusätzlich durch die Farbschönheit beziehungsweise Koloristik dieser Werke akzentuiert wird.9

Einen unikaten Stellenwert nimmt die Serie „Schwarze Schatten“ ein, die einerseits ein Triptychon beinhaltet und als Mischtechnik auf Leinwand, und andererseits aus einem kleinformatigen 6-teiligen Zyklus als Mischtechnik auf Papier realisiert wird (und hier erstmals publiziert wird). Er entsteht auf Grund eines Atelieraufenthaltes im Kubinhaus in Zwickledt bei Schärding 2005 innerhalb weniger Tage. Das Dunkle dieser Werke ist zunächst ein Erlebniseindruck im Kubinhaus. Bezieht man dies aber auf das Metaphysische im Werk von Alfred Kubin, kann thematisch diese Serie auch auf Kosmologisches bezogen werden: Die amorph-abstrakten Farbfigurationen scheinen gleichsam Geburten neuer Welten zu suggerieren.

Natur/Landschaft sui generis

Fast kontrapunktisch zu diesem Entschwinden der Landschaft ins Sphärische und Kosmische entsteht ab 2012 die Serie „Lightscapes“ beziehungsweise „Folia“. Dabei wird für Kogler die Möglichkeit des Licht- respektive Naturdrucks relevant. Was auf den ersten Blick als Novum erscheint (und es bildtechnisch auch ist!), weist bei genauerer Analyse bild- und verfahrenstechnisch eine Reihe von Referenzen aus seiner Studienzeit auf: die Erfahrung mit Fotografie, das Prinzip „Kunst ohne Künstler“, Entindividualisierung und Autonomie der Bildgewinnung jenseits einer personalen Implikation, Serialität im Sinne eines offenen Werkcharakters und Aspekte einer autokatalytischen Bildgenerierung.

Zunächst sind es Naturobjekte, die auf Zeitungspapier gelegt werden und durch Sonnenlicht Selbstabdrucke erzeugen, gleichsam Naturfotogramme darstellen. Diese „Folias“ bzw. „Lightscapes“ basieren auf seinen frühen fotografischen Auseinandersetzungen mit Lichtemulsionen während seines Studiums an der Hochschule für angewandte Kunst. Sind es zunächst reine Naturabdrucke, beginnt er 2014 diese mit den Mitteln der Malerei (Pigmente, Lacke, Ölfarbe) weiter zu formen, fasziniert vom Formenreichtum der Natur.

Gerade auch die jüngsten Arbeiten weisen das Werk von Leopold Kogler als bedeutenden Beitrag zum Thema Landschaft und Natur in Niederösterreich aus, mit dem er auch seismografisch das aktuelle Interesse an diesen Phänomenen vorweggenommen hat.10

1 Siehe dazu etwa die derzeitige Ausstellung „Die 70er – Damals war Zukunft“ auf der Schallaburg.
2 Die aktuellste Dokumentation und Reflexion der Kunst der 1970er Jahre bietet die Publikation die siebziger Jahre. Expansion der Wiener Kunst, hg. von Berthold
Ecker und Johannes Karel im Auftrag der Kulturabteilung der Stadt Wien, ambra-verlag, Wien 2013
3 Vgl. dazu den soeben erschienenen Ausstellungskatalog Oswald Oberhuber, hg. von Agnes Husslein-Arco, Alfred Weidinger, Luisa Ziaja, Belvedere, Wien 2016
4 Im Brennpunkt heftiger wissenschaftstheoretischer Dispute stand damals seine Publikation Wider dem Methodenzwang, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1976.
5 Umberto Eco: Das offene Kunstwerk, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1973 (italienische Originalausgabe 1962)
6 derselbe, in: Tagweiden, hg. vom Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, Neue Folge Nr. 310,
Wien 1992, o. p.
7 Der in der Publikation hier vollständig präsentierte Zyklus zeigt auch sehr schön die unterschiedlichen und identischen Arbeitsverläufe, die das Prozesshafte
betonen.
8 Malerei als poetische Entäußerung des Unbewußten, in: Malerei 1999/2000, o. J., o .p.
9 Es sei hier daran erinnert, wie lange das Moment der Schönheit in der Gegenwartskunst fast tabuisiert und verpönt war; erst durch die documenta 12, 2007 wird
die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Schönheit jenseits einer Kitschdiskussion wieder aktuell.
10 Siehe dazu den Themenschwerpunkt „Landschaft im Universalmuseum Joanneum“ 2015, inbesondere im Kunsthaus Graz: „HyperAmerika. Landschaft – Bild –
Wirklichkeit“, oder etwa die im Landesmuseum Niederösterreich 2004 – 2005 realisierte Ausstellung „Phänomen Landschaft“; auf die in den letzten Jahren große Anzahl erschienener Publikationen zu dieser Thematik sei en passant verwiesen.