Rainer Werner Fassbinder transmedial.

Mit der Eröffnung des Fassbinder Center wird erstmals der Nachlass für die Wissenschaft zugänglich. Damit ist die Genese längst kanonisierter Filme und Stücke rekonstruierbar, lassen sich die Schichten der Aneignung von Stoffen und Genres nachvollziehen. Zu korrigieren ist das Klischee, der berserkerhaft produktive Fassbinder habe genialisch-schlampig gearbeitet hat: Das Werk hat mehrere Entwicklungsstufen durchlaufen und ist, auch wenn dies durch die schiere Präsenz Fassbinders verdeckt wurde, in Auseinandersetzung mit kreativen Mitarbeitern entstanden. Neu in den Fokus genommen werden weitgehend unbekannte oder schwer zugängliche Arbeiten (die Show „Wie ein Vogel auf dem Draht“ oder die Ibsen-Adaption „Nora Helmer“ zum Beispiel) sowie nicht realisierte Projekte, die bis zu ausgewachsenen Drehbüchern gereift waren. Vor allem wird sichtbar, wie konsequent Fassbinder transmedial gearbeitet hat: Letztlich hat er in verschiedenen Medien und deren Verzahnung am selben Projekt gearbeitet. In dieser Perspektive stellt sich das Werk als übergreifende, organische Gesamterzählung dar.
„Wildwechsel“ – ein Theaterstück von Franz Xaver Kroetz, von Rainer Werner Fassbinder 1972 für das Fernsehen verfilmt, danach als Spielfilm im Kino gezeigt später vom Dramatiker Kroetz für weitere Ausstrahlungen und Vorführungen gesperrt – ist ein Beispiel dafür, wie Fassbinder sich fremde Stile und Genres produktiv aneignete und in ein anderes Medium überführte.
Der Blick in den Nachlass offenbart: Fassbinder war ein Wanderer zwischen medialen Erzählwelten. Diesen innovativen Erzählformen aus heutiger Sicht nachzugehen, eröffnet neue Perspektiven auf das Werk.
Beiträge u.a. von Christine Ehardt, Gerhard Lampe, Alexandra Vasa, Hans J. Wulff. Gespräche mit Rolf Giesen und Nicolas Wackerbarth sowie ein Forschungsbericht mit kommentierter Bibliografie runden den Band ab.