Reise nach Russland

Feuilletons, Reportagen, Tagebuchnotizen 1920-1930

von

In Joseph Roths aus 17 Lieferungen bestehender Reportage von seiner 1926 unternommenen Reise durch die junge Sowjetunion entdeckt Lennart Laberenz vor allem die Geschichte einer enttäuschten Liebe: Sehr sinnlich und mit enormer Neugier beobachtet Roth jedenfalls das bäuerliche Leben und ist sichtbar neugierig, das große soziale Experiment, das die UdSSR in seinen Augen anfangs noch darstellt, aus nächster Nähe zu beobachten. Das Landleben schildert er dabei als “rotwangiges Idyll”, in das der Fortschritt Einzug hält, doch je mehr er sich dem sowjetischen Apparat annähert, desto ernüchterter wird der Blick des Reporters, führt Laberenz aus: Buchstabengelehrte Theorie und graumäusige Verstocktheit geißeln hier Praxis und Alltag, “der Geruch des Banalen” herrsche vor, stellt Roth zu seinem Entsetzen fest. Die Frage, ob man die Reportage auch im Lichte gegenwärtiger Ereignisse in Putins Russland lesen könne, will der Rezensent indes nicht entschieden beantworten: Roth zu lesen lohne schließlich immer.(aus: taz, 2015)