Ritual Knast

Die Niederlage des Gefängnisses: Eine Bestandsaufnahme

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Über 73.000 Häftlinge hinter Gittern, Tendenz stetig steigend. Zeitweise überbelegte Anstalten bei unveränderter Kriminalitätsrate. Früher, härter, länger ist mittlerweile Devise der Strafjustiz. Aber was passiert nach dem Schuldspruch? Wie geht es zu hinter den meterhohen Mauern, unterhalb der Wachtürme, vor und hinter Überwachungskameras, auf den Höfen, in den Zellen? Foltermord in Siegburg, Meuterei in Berlin – grelle Exzesse oder Verfallssymptome des Systems Strafvollzug?

Hubertus Becker führt durch den „im toten Winkel der öffentlichen Wahrnehmung gelegenen Willkür-Raum“ Gefängnis. Nach seiner 20jährigen Erfahrung an Ort und Stelle liegt es an der inneren Struktur der Institution, dass „dieses Gesamtkonzept zur Regelung sozialer Konflikte, bestehend aus Tatverdacht, Beschuldigung, Ermittlung, Anklage, Verurteilung, Bestrafung, Behandlung und Wiedereingliederung, eine geringe Erfolgsquote aufweist.“ In 26 Kapiteln und sechs Alltagsepisoden seziert er den lebensfremden Organismus, das geregelte und zugleich regelwidrige Beziehungsgeflecht zwischen Verwaltung, Fachdiensten, Wärtern, Gefangenen, deren Verhältnis zu Schuld und Unschuld, zu Recht und Vollzugsrecht. Was wird aus Tätern und ihrem Selbstbild? Unter welchen Umständen werden sie „Verweigerer“, „Konformisten“, „Pragmatiker“, „Rebellen“, die sich Kriminalitätsbereiche erschließen, die vor dem Knast für sie tabu waren? Wer kann sich „draußen“ vorstellen, was es heißt, „die Kontrolle über das eigene Leben verloren“ zu haben?

Beckers Bestandsaufnahme ist eine Dokumentation des lautlosen Abschieds von der Resozialisierung. Sie geht über die Zeitzeugenschaft hinaus, berücksichtigt wissenschaftliche Erkenntnis, veröffentlichte Meinung, Zitatillustrationen bekannter Autoren aus zwei Jahrhunderten. Der „Fiktion“, Freiheitsentzug führe zu normenkonformen Verhalten, hält Becker größtenteils erprobte Alternativen entgegen. Sie eignen sich für eine Diskussion über Politik mit dem Strafrecht, deren Ausmaße der Autor demokratiebelastend nennt.