Sakrilegien. Aus den Tagebüchern 1953 bis 1967

von

Montag Nach 16stündiger, ganz erträglicher Fahrt mit dem Bus von Buenos Aires (wären nur die Tangos nicht gewesen, die der Lautsprecher spie!) die grünen Höhen von Salispuedes, und ich in ihrer Mitten, ein Buch von Milosz mit dem Titel Verführtes Denken unter dem Arm. Weil es gestern gegossen hat, komme ich heute mit der Lektüre zu Ende. Das also war euch bestimmt, dies euer Schicksal, so euer Weg, ihr alten Herren Bekannten, Freunde und Genossen aus der Ziemianska oder vom Zodiak – hier ich – dort ihr – so hat sich das herausgeschält – so demaskiert. Milosz erzählt die Geschichte vom Bankrott der Literatur in Polen fließend, und ich fahre mit seinem Buch glatt und schlaglochlos über diesen Friedhof, so wie vorgestern mit dem Bus über die asphaltierte Landstraße. Entsetzlicher Asphalt! Nicht daß tempora mutantur, entsetzt mich, sondern daß nos mutamur in illis. Nicht der Wechsel der Lebensbedingungen, der Niedergang von Staaten, die Auslöschung von Städten und andere Über-raschungsgeysire, die aus dem Schoße der Geschichte sprudeln, entsetzen mich, sondern daß ein Typ, den ich als X kannte, plötzlich zu Y wird, seine Persönlichkeit wechselt wie das Hemd und beginnt, im Widerspruch zu sich selbst zu handeln, reden, denken und fühlen – das ängstigt mich, macht mich verlegen. Fürchterliche Schamlosigkeit! Lachhaftes Ableben! Ein Grammophon zu werden, dem man eine Platte mit dem Titel ‚His Master’s Voice‘ auflegt – die Stimme meines Herrn? Wie grotesk ist das Schicksal dieser Schriftsteller! Schriftsteller! Aber das ist es ja gerade, daß diese Schriftsteller um keinen Preis aufhören wollten, Schriftsteller zu sein, sie waren zu den heldenhaftesten Opfern bereit, um nur bei ihrer Schriftstellerei zu bleiben.