Schein-heilig

Gespräche über die Bibel und eine Bank

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Eine große deutsche Bank ist durch regelwidrige Geschäftspraktiken in Schwierigkeiten geraten. Vorgeworfen werden ihr unter anderem: Zins- und Kursmanipulationen, Beihilfe zur Geldwäsche und Untreue.
Der Vorstandsvorsitzende tritt bei der Hauptversammlung der Bank als Retter auf und verspricht einen „Kulturwandel“ der Bank, der eine Neufassung der Unternehmensziele und eine Neubestimmung der Werte des Unternehmens umfassen soll.
Bei einer Tagung, die im Rahmen des Projektes „Kulturwandel“ über „Ethik des unternehmerischen Handelns“ stattfindet, wird von den Referenten auf die Bibel verwiesen, deren Werte als Grundlage eines ethischen Geschäftsgebarens dienen sollten.
Der für Lobbying zuständige Generalbevollmächtigte lädt eine Bischöfin und drei Philosophen nach Sils-Maria ein, der langjährigen Sommerfrische Friedrich Nietzsches, um den ethischen Gehalt der in der Bibel dargestellten Ereignisse zu klären. Dabei wird deutlich, dass Mord, Betrug, Intoleranz, Hass und eine ungewöhnliche Brutalität gegenüber Fremden zur alltäglichen Lebenspraxis der biblischen Akteure gehören.
Während man sich in Sils-Maria mit dem Gottesglauben befasst, verliert der Aufsichtsrat der Bank den Glauben an den Vorstandsvorsitzenden, der eine lange Zeit von seinen Untergebenen wie ein Gott behandelt wurde.
In Anbetracht des Versagens der Götter jeglicher Provenienz bleibt nur der sarkastische Blick auf die wirklichen Verhältnisse und – bestenfalls – ein vornehmes Schweigen über deren Hilflosigkeit.