Schönwerth-Märchen

Wassermärchen aus Bayern. Herausgegeben von Erika Eichenseer

Wenn sich der Mond im Brunnen spiegelt …

… muss er aufpassen, nicht herausgefischt zu werden! Denn einst wäre ein einziger neugieriger Blick für das Himmelsgestirn fast schlecht ausgegangen: Eine unvorsichtige Magd trug ihn im Eimer vom Brunnen ins Haus, wo die Köchin schon auf das Wasser für ihren Brotteig wartete. Prompt buk sie den Mond in einen der großen runden Laibe mit ein. Er sah sich schon in viele Teile zerschnitten auf dem Brotzeittisch liegen, als der nahe Bach ihm zu Hilfe eilte, wild sprudelte und anschwoll, bis er die zum Abkühlen an seinem Ufer abgelegten Brotlaibe mit sich riss und den Mond befreite.

Auch im kleinsten Bach steckt die nimmermüde Urkraft des Wassers, dieses geheimnisvollen, mythischen Elements, aus dem wir alle kommen, in dem wir uns bewegen, mit oder gegen den Strom schwimmen. Unverdrossen hält es uns am Leben, hilft uns bei der Arbeit, schützt uns und birgt doch für uns Landbewohner gefährliche, schaurige Tiefen. Früh schon versuchten die Menschen den Geist und die Seele des Wassers in Geschichten, Liedern und Versen einzufangen. Zahllose Märchen erzählen von goldenen Quellen und Wasserzwergen, denen der Schalk im Nacken sitzt, von bleichen Bräuten mit zartgrünen Häuten zwischen Fingern und Zehen, von Froschmännern und Nixen, die auf Wellen tanzen.

Erika Eichenseer, die Entdeckerin der lange verschollenen, unbekannten Märchensammlung von Franz Xaver von Schönwerth, hat 30 der schönsten bayerischen Wassermärchen ausgewählt und um kurze Anmerkungen zu den Motiven der Texte, zu ihren historischen Bezügen und sprachlichen Besonderheiten ergänzt: ein magischer Tauchgang für Klein und Groß.