Schriften zur Literatur, Philosophie, Geistesgeschichte und Kritisches zum Zeitgeschehen

Der reine Dichter und die Musen: Im tragischen Liebesverhältnis mit Sophie von Löwenthal und das dionysische Intermezzo mit der Diva Caroline Unger, dargestellt aus den „Zetteln“ und Briefen

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Fünf unterschiedliche Frauen bestimmen das Leben und Liebesleben Lenaus und beeinflussen mehr oder minder stark die Poesie des Dichters – als Musen!? Bertha Hauer, die Jugendliebe, Lotte Gmelin, eine kurze Liebelei, die zu den berühmten, vielvertonten „Schilfliedern“ führt, dann und nachhaltig Sophie von Löwenthal in Wien, die Unwiderstehliche, schließlich die Frau von Welt, Diva und Primadonna Caroline Unger, eine erfolgreiche Lieblingssängerin Donizettis und Bellinis. Wer wirkte als Muse, wer als Bremse? Die intimen Aufzeichnungen Lenaus und die Briefe des Dichters geben Auskunft und verweisen auf die Genese einzelner Dichtungen bis hin zúm – de facto abgeschlssenen – „Don Juan“- Fragment, das erst posthum publiziert wurde.

Lenaus Poeme in Prosa– die „Zettel“, – Intimität und Poesie!

„Wenn ich einmal todt bin und du liesest meine Zettel, so wird Dir das Herz wehthun. Diese Zettel sind mir das Liebste, was ich geschrieben habe. So unüberlegt sind mir dabei die Worte aus dem Herzen aufs Papier gesprungen, wie ein Vogel aus dem Nest fliegt. Wer mich kennen will, muß diese Zettel lesen. Aber es darf mich ja niemand kennen als du. Kennst du mich aber? Du kennst mich nicht, und wenn ich dir noch viele schreibe, so kennst du mich doch nicht, bevor ich todt bin. “

Lenaus „Zettel“ sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt; nur Sophie soll sie lesen, irgendwann. Die oft hochpoetischen und subjektiven Aufzeichnungen sind intimer Natur und als Versuch des dichtenden Geistes zu sehen, die ihn wild aufwühlenden Emotionen zu ordnen, zu kanalisieren bei gleichzeitiger Bestrebung, das eigene, schlechte Gewissen zu beruhigen.
Der geradlinige, aufrichtige, ethisch ausgerichtete Lenau ertappt sich dabei, nun selbst im Zustand der Heuchelei existieren zu müssen – und das behagt ihm nicht. Einerseits schreibt er Briefe, in welchem er sich um eine objektiver Darstellung der Fakten bemüht, kritisch und aufrecht, ohne Konzessionen; anderseits verkrümmt er sich in den „Zetteln“, verbiegt sich geistig, schustert sich Argumente zurecht, Ideale und Wunschvorstellungen, wohl wissend und fühlend, dass er sich damit selbst in Sackgassen begibt, ja auf Abgründe zusteuert, die sein poetisches und psychisches Ende bedeuten können.
Diese „Zettel“ sind heute überwiegend als Poesie zu lesen. Gleichzeitig aber geben sie Auskunft, wie der hochgradig zur Melancholie disponierte Dichter überaus leidend weiter in die Krise schlittert und – fast fatalistisch, in Todessehnsucht – den latent drohenden Wahnsinn geradezu heraufbeschwört.
Lenau schont sich nicht – er lebt sogar das Leiden dieser unglücklichen, unerfüllten Liebesbeziehung im masochistischen Vergnügen: Wenn das Schicksal die unglückliche Konstellation nun einmal herbeigeführt hat, dann nehme ich sie hin wie andere Schicksalsschläge auch, wie eine Krankheit und die Todesgewissheit, im „Amor fati“, weil es keine Alternative dazu gibt.
Jahrelang verharrte Lenau in emotionaler Unfreiheit, einfach deshalb, weil er sich nicht befreien wollte, und weil ihm, das Süße Leiden in der ewig traurigen melancholischen Situation eine eigene Lust verschaffte und die Trauerpoesie sprudeln ließ.