Schrittwechsel

Restlaufzeit ist auch Gewinn

von

Wütende Unruhe treibt Paula, die Ärztin, Mitte sechzig, durch die Räume ihrer Wohnung, sie ist immer noch schockiert: ….ob das in ihrem Alter nicht viel zu viel sei, ob sie denn nicht endlich die Jüngeren ranlassen wolle. Das war sie vor drei Stunden ausgerechnet von der Kollegin gefragt worden, deren betrunkenen Ehemann sie heute Nacht im Bereitschaftsdienst hatte versorgen müssen.
Natürlich weiß sie selbst, dass es an der Zeit ist, den Ruhestand einzuläuten. Rosa, ihre jüngere Schwester, sorgt sich um sie und Gerda, die beste Freundin, wirft ihr Entschlusslosigkeit vor. – Wenn doch nur diese Angst vor der Leere nicht wäre. – Seit der Scheidung vor zwanzig Jahren lebt sie allein, ist immer noch verletzt. Sohn und Tochter haben sich in der Ferne eingerichtet, der Kontakt ist spärlich. Der Beruf ist ihr Lebensinhalt, verleiht ihrem Dasein Sinn und Struktur.
Seit Monaten arbeitet sie an einem Plan, der den unvermeidlichen Wechsel in den Ruhestand absichern soll. Unter anderem setzt sie minutiös Orientierungsmarken für Sport- und Bildungskurse, Geselligkeit und Kunstgenuss – alles Neigungen, die in ihrem bisherigen Leben zu kurz gekommen waren.
Kaum sitzt der Nachfolger auf ihrem Sessel, kollidieren Termine ihres Planes mit der Wirklichkeit: Gerdas fordernder Besuch muss in Schranken gewiesen werden, das kostet den Gymnastikkurs. – Ihre erste festliche Geburtstagsfeier in der neuen Zeit platzt auf dem Höhepunkt, ein Hilferuf aus dem Gebirge fordert sie an. – Ihre Tochter Beate schenkt ihr ein Treffen mit einem Herrn aus einer Partnervermittlung. Paula geht hin, denn der kann ja nicht dafür. – Knieschmerzen mindern ihre Lebensfreude und Carla, die ältere Schwester, isst die Quarkpackung aus dem Kühlschrank. – Beim Kramen und Sortieren wird Paula von Mal zu Mal unglücklicher über die Differenz zwischen Äußerlichkeiten und inneren Werten. Nichts scheint mehr zu einander zu passen. Ein Selbstheilungsversuch im Kaufhaus endet im Krach mit der Verkäuferin. Als sie merkt, dass sie noch dazu kein Geld eingesteckt hat, wirft sie die Einkäufe zurück, sinkt weinend auf den Autositz und leidet stumm unter ihrer neuen Situation. – Zu Hause angekommen, pfeift sie den Hausmeister an, dass sie seine Knoblauchzehen nicht brauchen würde und überhaupt solle er sie in Ruhe lassen.
Auf die Französisch-Vokabeln aus der Schulzeit ist kein Verlass, russische Strophen flitzen durch Paulas Kopf und als sich die Dozentin darüber wundert, schleicht sie beschämt davon, tröstet sich mit gefüllten Waffeleiern.
Rosa droht in Wäschebergen zu versinken. Statt die Gotik – Vorlesung zu besuchen, fährt Paula zu ihrer Schwester in die Restauration zur MÖWE, um zu helfen. Rosa und ihre Sippe sind Paulas Familie, hier fühlt sie sich zu Hause. Doch während des gemeinsamen Arbeitens hat sie den Eindruck, dass sie irgendwie abgewimmelt werden soll. Um dem Alleinsein während der Weihnachtstage zu entgehen, übernimmt sie Dienste in der Bereitschaftszentrale. Dabei erfährt sie aus ihrem eigenen Mund, dass Verstehen zum Verzeihen führen kann, denkt dabei an ihre gescheiterte Ehe und kann außerdem einer jungen Schwester den Wert von Arbeit vorleben.
Drei Monate später fliegen Carla, Gerda und Paula nach Mallorca. Auf dem Hinflug erleidet Paulas Nachbar einen Kreislaufkollaps. Paula geht in Aktion. Nach glücklicher Landung kann er ihr noch zurufen, dass er Philip Moser heißt.
Das Zusammensein der drei Frauen erweist sich als schwierig: Rigoros lebt Carla ihre Tage, sie ist ständig unterwegs. Gerdas Esslust wird zum Thema, sie flüchtet auf ihr Zimmer und in ihre Übersetzungsarbeit. Paula mischt sich überall ein bisschen ein, ihre Eifersucht und Rechthaberei führen zu Auseinandersetzungen und als Philip Moser erscheint, um sich vor dem Rückflug zu stabilisieren, zieht sich Paula zurück.
Wieder in der Heimat, fällt eine Entscheidung, die Paulas Pläne über den Haufen wirft: Sie muss zur Herzoperation.
Nach überstandener Operation und während der Reha-Kur kämpft sie gegen Schmerzen und Halluzinationen, außerdem gewinnt sie Erkenntnisse über ihre innere Starre und deren Ursachen.
Als sie gebessert nach Hause zurückkehrt, schickt ihr Philip Moser einen Tulpenstrauß – prächtig, wirklich prächtig; aber sie stellt ihn in den Korridor, alles andere wäre zu viel Nähe.
Einige Wochen später erreicht sie Beates Anruf, dass der Vater, Paulas geschiedener Ehemann, schwer krank in der Klinik liegt und sie noch einmal sehen möchte. In Paula kocht Wut hoch auf den, der ihr Leben versaut hat, aber auch irgendwie Wut auf die Kinder, die hinter ihrem Rücken mit ihm zusammengehalten haben. Doch Beates Frage, ob sie denn nicht über ihren Schatten springen könne, ebnet ihr den Weg zur Begegnung im letzten Moment.
Schließlich gelingt Paula, nicht zuletzt durch Gerdas Bemühen, die Auseinandersetzung mit eigenen Fehlern und Versäumnissen, und – sie legt den Übergangsplan zur Seite.
Überraschend findet in der MÖWE ein Fest statt. Die Sippe und alle Freunde sind geladen. Rosa zieht sich aus dem Geschäft zurück, die nächste Generation übernimmt und die Zukunftspläne werden präsentiert. – Paula schaut in die Runde: Rosa strahlt, Carla ist schon wieder weg und Gerda blickt sie fragend an.
Da erhebt sich Paula. Sie packt ihren Kram zusammen und verlässt, freundlich nach allen Seiten grüßend, das Fest.
Im Gehen trifft sie auf Philip Moser, der nicht mehr mit einer Annäherung gerechnet hatte.
Tage später ruft sie Gerda an und fragt, ob sie mit zu den normannischen Kathedralen fahren würde, mit ihr und Beate, und natürlich auch mit Philip.