Schwarzes Blatt im Mund

Gedichte aus dem Koreanischen

von

In der Dichtung Ki Hyŏng-dos manifestiert sich, oft mit
abgrundtiefer Melancholie, aber auch in grotesk übersteigerten
Bildern, ein lyrisches Ich, das sich als Outcast
wahrnimmt, und dessen Blick vor allem auf die Nachtseiten
und die Verlierer des koreanischen Modernisierungsprozesses
fällt. Viele Gedichte sind autobiographisch
grundiert, darunter solche, die das Schicksal der Familie
des Dichters aufgreifen, das von der Krankheit seines
Vaters und den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen
Schwierigkeiten sowie dem gewaltsamen Tod einer
seiner Schwestern geprägt war. Andere beziehen sich,
wenngleich oft in zeichenhaft verdichteter, gebrochener
Form, auf die rigorose Unterdrückung der demokratischen
Opposition und die von willkürlichen Inhaftierungen,
Zensurmaßnahmen und gegenseitigem Misstrauen
geprägte Atmosphäre während der Militärherrschaft
von Park Chung Hee (1917-1979) und Chun Doo Hwan
(geb.1931), die bis Ende der 1980er Jahre andauerte. Eine
dritte Gruppe von Texten geht auf den systematischen
Verschleiß von Menschen und Material im Zuge der
radikalen Veränderung der Arbeitswelt und auf die
ökologischen Verwerfungen ein, die die koreanische
Entwicklungsdiktatur nach sich zog. Auf gleichsam
mythisch überhöhter, surrealer Ebene werden Grundprobleme
der conditio humana thematisiert bzw. Zweifel
an der verlässlichen Wahrnehmbarkeit von Wirklichkeit
angemeldet.