SMS-Bücher

Starke-Mädchen-Stories

von

Einfühlsam und dramatisch
Jana wohnt in den Sommerferien bei Bruno in dem alten Gutshaus seiner Familie. Nur eine seltsame Kinderfrau passt auf sie auf. Bald stellen die beiden fest, dass sie auf dem Dachboden heimlich nach etwas sucht. Die Spur führt viele Jahre zurück in eine schreckliche Vergangenheit. Doch ihre Enthüllung bringt Bruno und Jana in Lebensgefahr.

Leseprobe
Erster Teil
Jana
Vor einem Monat gab mir der Postbote einen dicken Briefumschlag. Darin befand sich ein vergilbtes Büchlein. Die furcht erregendste Person, die mir bis jetzt in meinem Leben begegnet ist, hatte es voll geschrieben bis zur letzten Seite. Es kam genau an meinem achtzehnten Geburtstag an, sieben Jahre nach unheimlichen Ereignissen, die ich nie ganz durchschaut hatte. Ich las und begriff auf einmal, dass niemand nur böse ist. Das war mein schönstes Geburtstagsgeschenk. Und deshalb stehe ich jetzt an einem Grab und will erzählen, was im Sommer geschah, als ich gerade zwölf Jahre alt geworden war.

Es begann an einem sonnigen Nachmittag im Juni. Ich war völlig vertieft in meine Lieblingsbeschäftigung, nämlich mit meiner Freundin Anne Kleider aus einer Zeitschrift auszuschneiden und sie dann mit unseren Lieblingsstücken neu zusammenzustellen. Mit einem Riemchenschuh ziemlich beschäftigt, achtete ich nicht darauf, was um mich herum geschah. Da musste das mit Coco passiert sein.
Anne und ich saßen in einem Strandkorb, der eigentlich für die Mütter auf einem kleinen Spielplatz stand, zu dem wir fast jeden Tag gingen. Wir waren zwar schon viel zu groß dafür, aber einen anderen Treffpunkt gab es nicht in unserer kleinen Siedlung. Und den Strandkorb hatten wir ganz für uns. Nachdem wir ganz groß Freundinnennest auf die Markise geschrieben hatten, nahmen die wenigen Mütter, die mit ihren kleinen Kindern herkamen, mit den Bänken in der Sonne vorlieb.
Ich merkte, wie Anne sehnlich auf meine neuen rosa Turnschuhe schaute. Ich hatte sie gerade zu meinem zwölften Geburtstag bekommen.
„Vielleicht kriegst du die Turnschuhe ja zum Zeugnis“, überlegte ich.
Anne schnippelte bedächtig an der Klunkerkette herum, die sie ihrem Model gerade verehrte. Dann huschte ein hoffnungsvolles Lächeln über ihr Gesicht und sie fuhr schwungvoll mit der Schere in einen glänzenden Stein und machte ein Herz daraus. „Ich kann ja Mama fragen, ich kriege gute Zensuren dieses Jahr.“
Bis dahin waren es nur noch wenige Wochen und ich wollte am liebsten gar nicht an die Sommerferien denken, weil die jedes Mal langweiliger wurden. „Ich muss in den Ferien wieder ewig bei meiner Oma sein, in diesem Kuhdorf, in dem es kein einziges Kind in meinem Alter gibt. Von mir aus könnte die siebente Klasse gleich nach der sechsten anfangen“, maulte ich.
Ich hatte vor Ärger ziemlich laut geredet, und Bruno, ein Junge, der immer mit einer Kinderfrau auf den Spielplatz kam, obwohl er genauso alt wie Anne und ich war, hob ruckartig den Kopf. Er glotzte uns vom Hochsitz des Klettergerüstes aus wie vom Blitz getroffen an. Schlecht gelaunt streckte ich ihm dafür die Zunge heraus.
Doch Bruno starrte mich einfach weiter an, als hätte er die Zunge gar nicht gesehen. Es ärgerte mich, aber irgendwie war es auch aufregend kribbelig.
„Wir verreisen dieses Jahr gar nicht“, meinte Anne.
„Aber du hast wenigstens Jonas“, versetzte ich unter Brunos Blick heftiger, als ich wollte. Ich fühlte mich unverstanden. Jonas war Annes Cousin und er wohnte Haus an Haus mit ihr. Die beiden waren immer zusammen wie Geschwister, ich dagegen hatte keinen sonst außer Anne. Jonas war an diesem Tag schon nach Hause gegangen, und auch Bruno machte sich jetzt auf. Ich wollte den Nachmittag mit Anne noch festhalten und schlug ihr vor, unsere Models mit Filzstiften nachzuschminken.
Irgendwann rief meine Mutter vom Eingang des Spielplatzes her: „Jana, Abendbrot!“
Ich sortierte meine neue Kollektion in meine Mappe ein, während Anne noch die Haare eines Models kurz schnitt. Bei meiner Jacke, die ich auf das Steinmäuerchen gelegt hatte, das den Spielplatz begrenzte, stutzte ich. „Anne, wo habe ich Coco hingelegt?“
„Die muss da bei den Jacken sein“, rief Anne vom Strandkorb her.
Meine Mutter kam herbei. „Nun mach, das Essen wird sonst kalt. Vielleicht ist deine Puppe in einem der Häuschen?“
Davon gab es zwei auf dem Spielplatz, aber dort waren wir höchstens, wenn es in Strippen regnete. Ich suchte in den Büschen hinter dem Mäuerchen. Anne lief zu den Schaukeln in der Sonne, auf denen wir uns manchmal unsere Probleme erzählten, weil das beim Schaukeln am besten ging, und meine Mutter schaute in die Spielhäuschen. Die Puppe war nirgendwo.
Ich spürte wieder ein Kribbeln im Bauch, diesmal allerdings war es nicht aufregend, sondern stieg als Klumpen in den Hals. Meine Puppe Coco hatte ich früher immer mit mir getragen, wo ich ging und stand. Selbst jetzt hatte ich sie noch oft dabei, obwohl Anne schon manchmal den Kopf schüttelte und meinte: „Wenn es wenigstens eine Barbiepuppe wäre, der könnten wir unsere Sachen anhalten.“
Aber Coco war eine ganz alte Puppe mit echtem Haar und ich hatte ihr gerade ein neues Kleid genäht, sogar mit einem Druckknopf als Verschluss, den ich ganz allein angebracht hatte. Nähen war noch viel besser als Ausschneiden, fand ich, aber für eine Barbiepuppe hätte ich nie etwas zustande gekriegt, dafür brauchte man bestimmt eine Schneiderausbildung. Bei Coco musste man nicht so genau auf die Form achten, und das war auch ganz egal, für mich war Coco einfach unentbehrlich. Sie war mein erstes Model und sie sollte immer an meiner Seite sein bei meinem Weg zur Modedesignerin. Wer, wenn nicht Coco, würde mir Glück bringen? Der Klumpen in meinem Hals wurde immer dicker.
„Vielleicht hast du Coco gar nicht mitgehabt?“, vermutete meine Mutter.
„Doch, Jana hatte sie dabei“, sagte Anne und ich nickte eifrig dazu, damit meine Mutter weiter suchen half.
„Hmm.“ Meine Mutter schüttelte ungläubig den Kopf. „Wer war denn sonst noch auf dem Platz?“
„Jonas und Bruno“, gab ich Auskunft.
„Jonas hat sie bestimmt nicht“, meinte Anne.
„Und Bruno?“, hakte meine Mutter nach.
Ich schüttelte entschieden den Kopf. „Nee, der hat sie auch nicht.“
Bruno stänkerte häufig. Jonas spielte zwar mit ihm, aber eigentlich nur, weil sonst kein Junge da war und Bruno oft das neueste elektronische Spielzeug mithatte.
„Bruno interessiert sich kein bisschen für Puppen“, fand auch Anne.
„Tja“, machte meine Mutter besorgt. „Dann können wir jetzt noch einmal nachsehen, ob jemand anders die Puppe aus Mutwillen weggenommen und sie hier in der Nähe irgendwo hingesetzt hat.“
Das klang nicht sehr ermutigend. Außerdem wohnten wir in einer kleinen Einfamilienhaussiedlung hinter einer großen Gärtnerei, die sie von unserem Stadtteil abgrenzte. Es gab nie fremde Leute hier und nur noch ein paar ganz kleine Kinder, die meistens in ihren Gärten spielten.
Anne musste nach Hause, und ich umrundete den Spielplatz noch dreimal mit meiner Mutter. Wir guckten hinter alle Gartenzäune und schauten sogar in ein paar Mülltonnen, aber Coco blieb verschwunden.
Meine Mutter legte auf dem kurzen Weg nach Hause den Arm um mich und strich mir mit ihrer weichen, warmen Hand die braunen Locken aus dem Gesicht, aber das half kein bisschen. Im Gegenteil, ihr Trost ließ mich argwöhnen, dass sie nicht glaubte, Coco jemals wiederzusehen. Ich schluckte trotzig an dem Klumpen im Hals, der nicht herunterwollte.
Abends im Bett klammerte ich mich an den Gedanken, dass Jonas oder Bruno die Puppe doch hatten und mich nur necken wollten. Aber das wollte nicht klappen. Dabei hatte ich den ganzen Nachmittag niemanden über den Spielplatz gehen sehen. Coco konnte doch nicht einfach so verschwinden, oder? Ich schluchzte mich in den Schlaf.

Am nächsten Tag lief ich, so bald ich konnte, zum Spielplatz. In der Schule hatte ich mir überlegt, dass möglicherweise doch eines von den kleinen Kindern gestern vorbeigekommen war und Coco mitgenommen hatte. Vielleicht war es so klein gewesen, dass ich es ganz übersehen hatte. Und vielleicht hatten seine Eltern gesagt, es müsse Coco wieder dorthin bringen, wo es sie her hatte. Das jedenfalls hatten meine Eltern gesagt, als ich vor ein paar Jahren einmal ein Spielzeugauto auf dem Bürgersteig gefunden hatte. Wir hatten es dann an der gleichen Stelle auf einen Zaunpfahl gestellt und am nächsten Tag war es weg gewesen. Ich hatte noch lange überlegt, ob es wohl das Kind genommen hatte, das es verloren hatte, oder vielleicht ein anderes. Ein anderer durfte auf keinen Fall Coco bekommen. Ich rannte die letzten Schritte.
Doch Coco lag weder auf der Mauer noch im Strandkorb noch saß sie auf dem Karussell, wo sie besonders gut zu sehen gewesen wäre. Dort hing Bruno bäuchlings über einem Holm, holte Anlauf und schickte Jonas so schnell in die Runde, dass er ganz blass wurde.
Da lachte Bruno grell, hielt das Karussell mit einem Ruck an, sodass Jonas’ Oberkörper schräg nach vorn kippte und sein Kopf auf die Lehne seines Sitzes knallte. Es tat schon beim Zusehen weh. Gerade als Jonas herunterrutschte, gab Bruno dem Karussell noch einen Schubs. Jonas bekam den Sitz in die Seite und stürzte mit einem Schmerzensschrei in den Sand. Bruno sah zufrieden aus.
Widerliches Ekel, dachte ich und rannte los, um Jonas beizustehen. Aber dann traute ich meinen Ohren nicht. „Tut es weh?“, hörte ich Bruno in besorgtem Ton fragen. Bruno half Jonas hoch und klopfte ihm die Hose ab. Ich stockte mitten im Lauf und glotzte die beiden verdattert an. Was sollte das? Warum benahm sich Bruno erst gemein und dann so besorgt? Ich musste mich verguckt haben.
Bruno blickte zu mir hinüber und zog forschend die Augenbrauen hoch. Ich versuchte meine Verwirrung schnell zu verbergen und fragte: „Hat einer von euch sich vielleicht meine Puppe ausgeliehen?“ Das war eine schlaue Frage, fand ich. Die hatte ich mir auch schon in der Schule überlegt. Ausleihen war schließlich nichts Schlimmes, da konnte man leicht Ja sagen.
„Nein“, sagte Jonas sich mit einer Hand den Kopf und der anderen die Seite reibend.
„Dein Püppchen? Dein Pipipüppchen?“ Bruno machte seine Stimme ganz hoch und dabei einen spitzen Mund.
Ich unterdrückte meine Wut, sah ihm unverwandt ins Gesicht und wartete ab.
„Tschuldigung“, sagte Bruno nun in normalem Tonfall. „Ist sie weg?“
Ich schwieg weiter.
„Du bist doch längst zu groß für Puppen“, fuhr er fort. „Komm, Jonas, jetzt schiebst du mich an, ja? Du kannst auch rauf“, lud er mich ein.
Aber so leicht ließ ich mich nicht abwimmeln. „Du hast noch nicht gesagt, ob du sie genommen hast.“
Bruno schüttelte den Kopf und ich wusste nicht recht, ob das nun Nein hieß oder ob er damit meine Frage abtun wollte. Jedenfalls setzte er sich jetzt mit dem Rücken zu mir auf das Karussell und ließ sich von Jonas anschieben.
Ich dachte, dass jetzt nichts mehr von ihm kommen würde. Ich kam mir blöd vor, wie ich da herumstand, trollte mich an Brunos Kinderfrau vorbei zum Strandkorb und wartete auf Anne. Gegenüber Bruno wollte ich mir keine Blöße geben. Ich kam mir schon dumm genug vor, obwohl ich keinen Grund dafür hätte nennen können.
„Du kannst mich doch mal besuchen und gucken, ob dein Püppchen in meinem Zimmer sitzt, wenn du willst“, schallte Brunos Stimme vom Karussell herüber.
Ich drehte mich nicht einmal um. Was hätte ich auch sagen sollen? Nur Jonas war bisher bei Bruno gewesen, jedoch bloß ein oder zwei Mal. Er fand es dort unheimlich. Selbst Anne hatte nicht aus ihm herausbekommen, warum. Er wusste es wohl selber nicht so richtig. Auf jeden Fall wohnte Bruno ein Stück weiter weg in einem prächtigen, sonnengelb angestrichenen Haus, einem ehemaligen Gutshaus. Die Stadt war mit ihren Einfamilienhäusern inzwischen an dessen Park herangewachsen.
Ich setzte mich in unser Freundinnennest und blickte hinüber zu der Kinderfrau. Wie immer häkelte sie in klitzekleinen Maschen Spitzendeckchen, wie meine Großmutter sie hatte, und schaute griesgrämig drein. Ob der Kinderfrau gestern etwas aufgefallen war? Aber zu dieser Frau wollte ich lieber nur mit Anne gehen. Ich hatte noch nie ein nettes Wort von ihr gehört. Hoffentlich kam Anne bald.
Das tat sie zu meiner Erleichterung und wir packten unsere Modekollektionen aus und berieten uns flüsternd.
„Bruno hat nicht gesagt, dass er Coco nicht hat“, erklärte ich.
„Ja, komisch, vielleicht wollte er dich ärgern.“ Anne sah zu Bruno hinüber, der gerade mit Jonas Sandbomben auf das Dach eines Spielhäuschens warf. Bruno trug die angesagtesten Jeans und nicht wie andere Jungen ein T-Shirt, sondern ein kurzärmeliges Hemd wie ein Musterschüler. Seine blonden Haare waren fast weiß und leuchteten über dem gebräunten Gesicht. Bei jedem Wurf verzerrte sich sein Mund angriffslustig und er warf viel schärfer und treffsicherer als Jonas, und das lag nicht nur daran, dass er vier oder fünf Jahre älter war. Brunos Würfe sahen nicht aus wie zum Spiel, sondern als ob er mit jedem einzelnen ganz ernsthaft jemanden ermorden wollte.
„Ich will die Kinderfrau fragen, kommst du mit?“, fragte ich Anne.
Anne fielen vor Schreck ein paar Sommerkleider aus der Hand. „Was willst du denn sagen?“ Sie hatte die Kinderfrau einmal mit einem kalten, dunklen Felsbrocken verglichen. Und obwohl sie noch jung war und schlank, wirkte sie tatsächlich plump und schwer, wie sie immer zusammengesunken auf der Bank saß.
„Wir könnten fragen, ob sich Bruno die Puppe geborgt hat“, schlug ich Anne vor und erklärte meinen Trick bei der Frage. „Das ist ganz unverfänglich.“
Anne wollte eigentlich trotzdem nicht, aber dann kam sie doch mit, um mir gegen den kalten Felsblock beizustehen, und ich merkte wieder einmal, was für eine gute Freundin sie war.
Die Kinderfrau sah erst gar nicht auf. Sie saß in einer ihrer langweiligen, dunkelblauen Blusen einfach nur häkelnd da und sagte eine ganze Weile gar nichts. Es schien so, als habe sie die Frage gar nicht gehört. Geräuschlos wie eine Schlange ringelte sich ein weißer Faden über ihre Beine empor. Gerade wollte Anne mich wegziehen, da schaute sie uns mit dunkel schimmernden Augen an.
„Warum sollte sich Bruno eine Puppe borgen?“, sagte sie. „Kriegt er nicht immer alles, was er sich wünscht?“ Jetzt lächelte sie so stechend, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurücktaumelte. Schnell beugte sie sich wieder über ihre Handarbeit.
Hilflos blickte ich zu Anne. Die zuckte mit den Schultern und machte eine kaum wahrnehmbare Kopfbewegung Richtung Strandkorb, als dürfe die Frau nicht wissen, wohin wir jetzt gingen.
„Verstehst du das? Das war schon wieder so eine komische Antwort“, regte ich mich auf, als wir außer Hörweite waren.
„Sie hat sich geärgert, dass du Bruno verdächtigst“, vermutete Anne. „Er hat Coco wohl nicht mitgenommen.“
Ich setzte mich in den Strandkorb. Ich hatte genau das entgegengesetzte Gefühl.
Mehrmals an diesem Nachmittag meinte ich zu spüren, dass die Kinderfrau mich beobachtete. Aber immer, wenn ich zu der Bank hinüberblickte, auf der sie wie ein Schatten saß, häkelte sie mit gesenktem Kopf an ihrem Deckchen. Poff, machten Brunos Sandbomben dazu, poff, poff.

Beim Abendbrot beriet ich mich mit meinen Eltern. Meine Mutter war der Meinung, wir sollten vielleicht einen Aushang mit einem Foto von Coco am Spielplatz anbringen. Falls ein Kind die Puppe hatte und die Eltern das Foto sähen, brächten sie Coco bestimmt zurück.
Mein Vater wiegte den Kopf. „Wenn ich ein Kind wäre und hätte die Puppe genommen und sähe dann den Anschlag, was würde ich wohl tun?“
„Die Puppe verschwinden lassen?“, antwortete ich beklommen.
Mein Vater hob nur die Hände und nickte.
„Und dann kommt Coco nie wieder“, begriff ich.
„Das ist jedenfalls zu befürchten“, stimmte mein Vater zu.
„Dann machen wir das nicht“, entschied ich und zerquetschte mutlos eine Kartoffel so lange in der Sauce, bis ein gelblicher Brei entstand, in dem ich ratlos rührte.
„Ich bin mir fast sicher, dass Bruno Coco hat“, beharrte ich auf meinem unguten Gefühl.
„Aber die Kinderfrau hätte es doch gesehen, wenn er sie mitgenommen hätte. Coco ist doch nicht so klein, dass sie in einer Hosentasche verschwindet.“ Meine Mutter nahm sich so gleichmütig Gemüse, als sei unser Gespräch überflüssig.
Aufgebracht rief ich: „Mama, diese Kinderfrau schimpft nie, wenn Bruno was anstellt. Einmal hat er Jonas so sehr den Arm umgedreht, dass Jonas sich den Rest des Tages in ein Häuschen verkroch und den Arm hielt. Die Kinderfrau hat nicht mal aufgesehen, als er schrie.“
„Hmm“, machte meine Mutter. Es klang nicht überzeugt.
„Tja, wenn du nicht bei Bruno selbst nachsehen willst, wirst du ihn wohl dein Leben lang verdächtigen“, sagte mein Vater und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, als läge ein Schmunzeln hinter seinen Worten.
Böse ließ ich die nächste Kartoffel auf den Teller fallen, sodass Sauce auf die Tischdecke spritzte. „Bruno hat gesagt, ich könnte ja bei ihm vorbeikommen“, fauchte ich und dachte: Das hat er vielleicht nur gesagt, weil er nie glaubt, dass ich es mache. Aber da hat er sich verrechnet.
Verrechnet hatte sich allerdings nicht Bruno, sondern ich.