Studien zum modernen Orient

Fremd- und Selbstbild in der aserbaidschanischen Geschichtsschreibung

von

Der ungelöste Konflikt um Berg-Karabach prägt die Historiographie in der jungen Republik Aserbaidschan. Schulbücher und andere öffentliche Dokumente entwerfen eine nationale Identität aus einem dichotomen Freund-Feind-Schema: Auf der einen Seite befindet sich das in Großteilen positiv besetzte Eigenbild, dem auf der anderen Seite das überwiegend negativ bewertete Fremdbild entgegengesetzt wird. In Staaten, in denen ungelöste Konflikte bestehen, wird dieses Fremdbild häufig auf den Konfliktgegner projiziert. Über Lehrmaterialien werden derart konstruierte Feindbilder in die Folgegenerationen übertragen und erschweren so dauerhaft friedliche Lösungen. Zwar schweigen zwischen Aserbaidschan und Armenien nun seit mehr als anderthalb Jahrzehnten die Waffen, dennoch ist der Konflikt zwischen den beiden Nachbarn weiterhin virulent und vor allem in beiden Gesellschaften höchst präsent: Die Betonung des kriegsgeleiteten Feindbilds führt zu einer andauernden Mobilisierung im Volk, selbst in Altersschichten, die den Krieg als solchen nicht mehr erlebt haben. In einer Close-Reading-Analyse des aserbaidschanischen Geschichtsschulbuchs ‚Ata Yurdu‘ (dt. Vaterland/Heimat) geht Sara Winter dem aserbaidschanischen Eigen- und Fremdbild und dessen Implikationen auf den Grund. Ihre Analyse liefert erstes wissenschaftliches Basismaterial und dient als Anstoß zur weiteren Aufarbeitung und Dekonstruktion konfliktfördernder Feindbilder.