Theatertexte

Ein Charaktergemälde in fünf Aufzügen

von

Ernst August Friedrich Klingemann (1777–1831) – mittlerweile als Verfasser der Nachtwachen von Bonaventura (1804) ein prominenter Autor – reagierte mit seinem ›Charaktergemälde‹ Selbstgefühl (1800) unmittelbar auf die Jenaer Frühromantik. Friedrich Schlegels Konzept einer ›philosophischen Tragödie‹, das eine Figur in höchster Verzweiflung verlangt, gab Klingemann den Anreiz, dieses Stück zu schreiben. Der Protagonist, Ludwig Seltau, steht vor dem Ende seiner Karriere. Auguste, die er vor Jahren mit dem gemeinsamen Kind im Stich gelassen hat, taucht plötzlich in der Stadt auf, in der er ein angesehenes Amt bekleidet. Seltau, der inzwischen mit Luise, der Tochter seines Vorgesetzten, verheiratet ist, versucht noch seinen Fehler zu vertuschen, jedoch ohne Erfolg. Seine Schuldgefühle reißen ihn bald in einen Strudel zunehmender Verzweiflung. Als die Sache schließlich die Runde gemacht hat und er mit den bevorstehenden Konsequenzen konfrontiert wird, sieht er keinen Ausweg mehr und nimmt sich das Leben. Mit Selbstgefühl macht Klingemann die damaligen gesellschaftlichen Anforderungen zum Thema und stellt einen Helden vor, der an diesen verzweifelt und auf ganzer Linie scheitert.