Theatertexte

Ein Schauspiel in Einem Aufzuge

von

Kleists Dorfrichter Adam urteilt nicht nach Gesetzen, sondern ‚wie’s hier in Huisum üblich‘ ist. Dieser empörende Fall von Justizbehinderung, Rechtsbeugung und Strafvereitelung findet in Christian Felix Weißes Einakter über den korrupten Amtmann Greif ein bisher kaum beachtetes Vorbild.‘ Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er zerbricht; oder der Amtmann‘ (1786) empfiehlt sich Kleists Gerichtsdrama nicht nur durch einen ähnlich lautenden Titel als mögliche Anregung. Mit dem jungen Referendar Biedermann tritt Kleists Schreiber Licht ein geschickter Ermittler an die Seite, der wie im ‚Zerbrochenen Krug‘ Unterstützung von einem übergeordneten Gerichtsrat und Assessor der Landesregierung erhält. Wie später Kleist seinen Dorfrichter karikiert, der ‚Recht so jetzt, jetzo so erteilen‘ will, sagt der Dichterjurist Christian Felix Weiße (1726–1804) jeglicher Willkür und autoritären Einschüchterung in Rechtsdingen den Kampf an. In einer Zeit grundlegender Justizreformen leistet das Stück damit einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung, die das Gesetz als unantastbare und universal gültige Kategorie begreift.

Goethe ließ sich als Jurastudent in Leipzig von Weißes Theaterstücken gerne ‚hinreißen‘, trotz ihrer didaktischen Überdeutlichkeit und zeittypischen Moral. Ein Vierteljahrhundert später bricht Kleist damit auf raffinierte Weise. Das frühere Gerichtsdrama könnte er gekannt haben, wie aus der handschriftlichen Vorrede zum Zerbrochenen Krug hervorgeht. Darin benennt Kleist das Gemälde La cruchecassée (1777) von Jean-Baptiste Greuze als Anregung. Doch ein ‚misstrauisch‘ blickender Gerichtsschreiber ist darauf gar nicht zu erkennen, wohl aber auf dem Kupferstich zu Weißes Stück. Die Edition gibt der Kleist-Forschung diese potentielle Quelle jetzt an die Hand.