Tisanas

Portug. /Dt.

von ,

„Als ich nach Hause kam, saß mein Schwein Rosalina gerade an der Schreibmaschine. Das verwirrte mich in höchstem Maße, und daher fragte ich, was machst du denn da. Ohne den Kopf zu heben, zeigte Rosalina mit ihrer Hachse auf das Papier und lud mich ein zu lesen. Das Blatt war leer, denn Rosalina hatte das Band aus der Maschine entfernt und es um ihren geringelten Schwanz drapiert, den sie in diesem Moment vergnügt bewegte. Immer war es Rosalina gewesen, die mich zwang, in die Metaphysik einzutauchen. Daher wandte ich mich wortlos der Küche zu. Ich öffnete die Lade; holte das große Messer aus der Hülle mit dem Tranchierbesteck; zündete das Feuer an; erhitzte den Grill; trat wieder ins Arbeitszimmer, wo Rosalina auf der Maschine schrieb. Ich schnitt ihr einige Koteletts aus dem Rücken. Genügend für eine reichliche Mahlzeit. Ich schnitt auch ein Stück vom Band ab, um den Teller zu schmücken.“ – Ana Hatherly (geb. 1929), Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin, lebt in Lissabon. Ihren seit 1969 entstandenen Tisanas – aphoristische Texte und Textfragmente – liegt eine neue Konzeption von Wahrnehmung zugrunde: an die Stelle der Hierarchisierung von Subjekt und Objekt tritt eine rückhaltlose Aufmerksamkeit gegenüber dem ‘Objekt’, eine Art optische Vergrößerung, die die Wirklichkeit neu schreibt. – „Eine ihrer originellsten Erfindungen sind die von ihr selbst so benannten ‚tisanas’. Eine Auswahl dieser immer wieder neu überraschenden, von einem subtilen Humor belebten kunstvollen Prosastücke hat die edition tranvía vorgelegt.“ (Peter Kultzen in Neue Zürcher Zeitung)