Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam

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Mit aller Kraft seiner funkelnden und schlagenden Intelligenz bekämpfte Erasmus von Rotterdam ein Leben lang auf allen Gebieten die rechthaberischen Fanatiker ihres eigenen Wahnes – und nur in ganz seltenen glücklichen Stunden lächelte er über sie. In solchen milderen Momenten erschien ihm der engstirnige Fanatismus nur als bedauernswerte Borniertheit des Geistes, als eine der unzähligen Formen der »Stultitia«, deren tausend Abarten und Spielarten er in seinem »Lob der Narrheit« so ergötzlich klassifizierte und karikierte. Als der wahrhaft und vorurteilslos Gerechte verstand und bemitleidete er sogar seinen erbittertsten Feind. Aber im tiefsten hat Erasmus immer gewußt, daß dieser Unheilgeist der menschlichen Natur, daß der Fanatismus ihm seine eigene mildere Welt und sein Leben zerstören werde. Denn des Erasmus Sendung und Lebenssinn war die harmonische Zusammenfassung der Gegensätze im Geiste der Humanität. Er war geboren als eine bindende, eine »kommunikative Natur« … Und dieses Verlangen der Geistigen, sich im Geiste zu binden, der Sprachen, sich in einer Übersprache zu verständigen, der Nationen, sich im Übernationalen endgültig zu befrieden, dieser Triumph der Vernunft war auch der Triumph des Erasmus, seine heilige, aber kurze und vergängliche Weltstunde.