Über Grenzen

Lebenserinnerungen

von

Manche Bilder von Ralf Dahrendorf haften im Gedächtnis, so das der Diskussion mit Rudi Dutschke auf dem Dach eines Fernsehwagens vor der Freiburger Stadthalle 1968, aber auch das des unbotmäßigen Europa-Kommissars und dann des britischen Lords. Woher kommt so ein Mann? In einem ungewöhnlichen Rückblick auf seine Anfänge erzählt Ralf Dahrendorf, warum für ihn das Jahr, in dem er 28 war, die Achsenzeit seines Lebens wurde. So hören wir von diversen Ansichten der Herkunft seiner Familie, seinem Elternhaus, seinem Vater, der sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter war, am Widerstand gegen Hitler teilnahm und vom Volksgerichtshof abgeurteilt wurde. Er beschreibt sein Aufwachsen in Nazi-Deutschland, und zwar als jemand, der nicht zum Auswandern gezwungen war, jedoch seinerseits in den Widerstand geriet, berichtet von der Stunde Null, dem Studium, dem Beginn seiner Karriere als Wissenschaftler, als Journalist, als Politiker. Ralf Dahrendorf mißtraut der großen Lebenserzählung, in der sich Ereignis an Ereignis knüpft und am Ende alles als konsequent und sinnvoll erscheint. Er ist ein Liebhaber der leisen Ironie und der Diskretion, und so bietet er, wie er selbst sagt, ein „Patchwork“. Aber, so muß man hinzufügen, es ist ein höchst kunstvolles Gewebe, das hier aus den Einzelstücken zusammengesetzt ist. „Über Grenzen“ ist nicht nur ein atmosphärisch dichter Lebensrückblick, es ist ein literarisches Buch.