Unerwartet Marseille

Peter Kurzeck erzählt

von

Peter Kurzeck erzählt von den langen Sommern der
späten sechziger Jahre. Als man wußte, daß die Sommer
von Jahr zu Jahr länger und besser würden, und nicht
nur die Sommer, auch die Welt, und daß man selbst
daran
beteiligt war. Das erste Mal Marseille sehen.
Längst keinen Urlaub mehr. Ein Telegramm an den
Chef: ‚Unerwartet Marseille. Rückkehr verhindert.‘
Und trotzdem nicht entlassen werden. Jahre des Trampens
und der Vollbeschäftigung. Eine Freundin in Prag
im Frühjahr 68. Und dann über München, Meran, Venedig,
Pula, Wien, Bratislava in den Sommer des Prager
Frühlings. Viel trinken im Prager Frühling. Die Freundin
in ihrer Büromaschinenfabrik schon mittags besuchen,
und die ganze Abteilung hört auf zu arbeiten. Auf
der Karlsbrücke die Beatles im Kofferradio. Und immer
zu Fuß unterwegs. Die Tage der Okkupation am Radio
in Staufenberg. Der Herbst nach dem Prager Frühling.
Wie im Juni 1970 am eigenen Geburtstag die Mutter
stirbt und man noch am Tag der Beerdigung zu einer
langen Sommerreise nach Schweden aufbricht. Im
Transit durch die DDR. Zu tschechischen Emigranten
nach Sundsvall. In die Mitsommernacht, ans Nordkap
und wochenlang barfuß. Das Mädchen an der Tankstelle
bei Vilhelmina. Wie man zurückkommt und irgendwann
weiß, man kann nicht mehr zur Arbeit gehen.
Will fortan Schriftsteller sein. Im Sommer 71. Jetzt den
Tag für sich und das Schreiben. Hamsun lesen, solange
man will. Der erste Sommer in Staufenberg. Ein freier
Schriftsteller.