Wahrheit und Existenz

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Dieser 1948 entstandene philosophische Text aus dem Nachlaß Sartres ist erstaunlich modern am Ende eines Jahrhunderts, in dem die Unterscheidungen zwischen Wahrheit, Unkenntnis, Ignoranz und Lüge fast unmöglich scheinen. Sartre erkannte, daß die Geschichte den Anspruch auf eine Wahrheit endgültig verabschiedet hat, war jedoch nicht bereit, sich der bequemen Alternative der Flucht in die Beliebigkeit zu unterwerfen. Faszinierend ist Sartres Fähigkeit, von der abstraktesten philosophischen Spekulation zur konkreten Beschreibung überzugehen. Der philosophische Dialog mit Heideggers «Vom Wesen der Wahrheit» folgt dem Denker aus Todtnauberg in luftige Höhen, manchmal auch auf Holzwegen, und steigt dann fast unbemerkt in das pulsierende Leben der Pariser Cafés hinab. Sartre geht es nicht wie Heidegger um die Wahrheit des Seins, sondern um die Bedeutung der Idee der Wahrheit in den menschlichen Beziehungen. Wie soll man, wenn weder göttliche Offenbarung noch historische Mission die Garantie einer Wahrheit bieten, einen sicheren Boden finden? «Wahrheit und Existenz» wirft ein Licht darauf, warum die Absicht von «Das Sein und das Nichts» (1943), eine Moral zu begründen, auf die «Kritik der dialektischen Vernunft» (1960) hinauslaufen mußte, auf eine radikale Befragung des Sinns der Geschichte.