Wenn das Wort zu Wort kommt

Die Lösung liegt in der Poesie

von

Alles, was wir bisher über das Verfassen und Analysieren von Gedichten gelernt haben, darf in den Hintergrund treten: Reim, Versmaß, Strophenbau, Metrik, Jamben und Hexameter, Semantik und Syntax… Es geht hier um ein besonderes literarisches Lehrmittel, um ein Werkbuch, in dem die Poesie im Mittelpunkt steht und nicht die Theorie oder schulische Leistung. Die Autorin nimmt uns wort-wörtlich an der Hand und zeigt uns konkret, was Poesie ist. Sie nimmt uns die Ehrfurcht oder gar Angst vor der ‚hohen literarischen‘ Kunstform und bringt das Gedicht auf die Alltagsebene jedes Einzelnen hinunter. Von Regeln, Erwartungen, Worthülsen und Sprachmüll befreit, gehen uns die Augen auf, wie selbstverständlich es sein kann, all das, was uns bewegt, erschüttert, beeindruckt, freut, traurig, glücklich oder nachdenklich stimmt, in präzise Sprache zu fassen – und was dabei mit uns geschieht. Poesie, erfahren wir, kann eine unverzichtbare Denkschule sein, ein wirksames Mittel, um Probleme und Fragen zu lösen, unsere Sinne zu schärfen, uns hellhörig, weitsichtig, entdeckungsfreudig, offen für Neues, vielleicht menschlicher zu machen. Margo Fuchs Knill, die nicht nur Dozentin für den Fachbereich Kunst- und Ausdruckstherapie ist, sondern auch Dichterin, hat für ihr literarisches Lehrbuch einen eigenen, kreativen, ganzheitlichen Ansatz gefunden, der immer wieder verblüfft und Aha-Erlebnisse auslöst. Ihre originellen, zuweilen verspielt-heiteren Beispiele und poetischen Anleitungen lösen Neugier aus, es selber auch auszuprobieren – und auf einmal sieht man, offen und hellwach, den Weg, ein Gedicht zu schreiben, klar vor sich. Wie durch ein Wunder kommt das Wort zu Wort, die treffenden Ausdrücke fallen einem zu, Ton, Rhythmus und Form ergeben sich wie von selbst, ein Ganzes entsteht: unverwechselbar, einmalig. Wir werden in der westlichen Welt, auch virtuell, von einer Bilderflut überschüttet, in der die Sprache wenig Gewicht hat. Es gibt jedoch zahlreiche Länder, in denen das Wort von den Machthabern als stärkste Waffe gegen Willkür und Ungerechtigkeit nach wie vor gefürchtet wird. Dichter und Dichterinnen, die es wagen, die Wahrheit auszudrücken und dadurch Widerstand zu leisten, werden verfolgt, hören aber selbst im Gefängnis nicht auf, Gedichte zu machen. Poesie kann überlebenswichtig sein, oft wichtiger als Brot, und das Schreiben von Gedichten ist vielleicht eines der letzten großen Abenteuer. ‚Wenn das Wort zu Wort kommt‘ gibt uns Anleitung und Inspiration, dieses Wagnis immer wieder neu einzugehen.
Barbara Traber (Vorwort)