Wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder

nummer 178 - Neues altes Bürgertum

Das Signum «bürgerlich» steht für die laue Mitte. Keinesfalls extrem, immer vernünftig, gemäßigt und am Erhalt des Bestehenden orientiert, ist mit dem Bürgertum heute keine Revolution mehr zu machen. Wer aber zählt im 21. Jahrhundert zum Bürgertum? Niemand und alle, so scheint es.
Im «wespennest»-Frühjahrsschwerpunkt geht es um eine Rekapitulation: Wo stecken die Werte der bürgerlichen Revolution und was ist aus dem linken Feindbild «Bourgeoisie» geworden? Was heißt heute Mittelstand und in welcher Ästhetik – literarisch, modisch und architektonisch – drückt sich das Lebensgefühl einer neuen Bürgerlichkeit aus? Unter welchen Bedingungen wird Bürgerlichkeit doch zu einer Form des Protests, und wie bürgerlich sind eigentlich Wutbürger?
«Bürgertum», dieser Geisterbegriff aus dem 19. Jahrhundert, sucht uns im 21. wieder heim – im Bösen wie im Guten. Schillernd zwischen Gleichheit und Distinktion, Kritik und Bestätigung der Verhältnisse, steht er für etwas, dem man sich nicht entziehen kann, ohne sich doch zugehörig zu fühlen. «Die Bürger», schrieb der französische Schriftsteller Jules Renard irgendwann in den 1890er-Jahren, «das sind die anderen.» Das klingt auch heute aktuell.