Wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder

Nummer 179 - Viele Sprachen – eine Sprache?

Im alten Spiel «Natur gegen Kultur» haben sich Sprachdenker und Kulturanthropologen des 19. und 20. Jahrhunderts mal der einen, mal der anderen Seite zugeschlagen. Wer auf diese Auseinandersetzung zurückblickt, kann mitunter hochtrabende Irrtümer wie Benjamin Whorfs Schlussfolgerungen zur Grammatik der Hopi finden. «Words colour your world», balanciert der Oxforder Linguist Guy Deutscher aus, sie errichten aber keine unüberwindlichen Denkmauern zwischen einzelnen Sprachen.

Der «wespennest»-Herbstschwerpunkt forscht nicht zu Verbformen einzelner Stammessprachen, im Fokus stehen vielmehr spezifische Vorstellungen heutiger Literatur und Gesellschaft: So etwa die emphatische Auffassung von Sprache als wahrer, letzter Heimat – und die populistische Vereinnahmung «heimatlicher» Mundart. Oder die politische Festschreibung von Mehrsprachigkeit in Europa – die aber für die Mehrheit der europäischen Bevölkerung bis heute nicht gelebte Praxis ist. Und warum muss, wer zuwandert und mehrere «Küchentischsprachen» mitbringt, oft erfahren, dass nicht jede Mehrsprachigkeit gleich viel zählt?
Mit dem biblischen Turmbau haben sich viele literarisch Schaffende – interpretierend, nacherzählend, sprachverwirrend – beschäftigt. «Das grosse Babel,n» (Ferdinand Schmatz) ist zuallererst eine dichterische Tätigkeit.