Zum zweiten Blick

Fotografien

von

Aufmerksamen Beobachtern begegnete der Schweizer Fotograf Martin Linsi zuletzt 2010 auf der Architektur-Biennale in Venedig, als er für seine Dokumentation der Brückenbauten von Jürg Conzett unter 193 Bewerbern mit dem DAM Architectural Book Award ausgezeichnet wurde. Ein breites Echo fand auch seine’Reise durch den Kanton Schwyz‘, die er 2005 als Ergebniseines offiziellen Auftrags des Schwyzer Regierungsrates vorlegte. Die beiden Arbeiten sind Beispiele einer fast 40 Jahre währenden Fotografenlaufbahn, in der sich Linsi auf bemerkenswerte Weise treu blieb und einen unverkennbar eigenen Stil entwickelte. Die Genauigkeit und Ruhe seiner Bilder scheint den Aufnahmen auf den ersten Blick etwas Stilllebenartiges zu verleihen, und doch ist der Moment darin auf ebenso unauffällige wie suggestive Art erfaßt, daß man beim zweiten Hinsehen den Kern einer Geschichte erkennt, die längeres Nachsinnen und -sehen provoziert. Menschen und Landschaften sind die Schwerpunkte von Linsis Fotografie. Unerschütterlich vertraut er dabei dem Prinzip der Entschleunigung. In größter Bedächtigkeit pflegt er seine großformatigen Kameras aufzubauen und anschließend zu warten, bis das besondere Licht hervortritt oder die Menschen ihre Fremdheit und Befangenheit vor der Kamera ablegen. Wie einst August Sander lädt er die Porträtierten ein, den Fotografen als geduldigen Gehilfen zu betrachten, der – unbeeinflußt von allen Wechselfällen der Situation – zu erfassen vermag, wer man der eigenen Auffassung nach ist. Ebenso weiß er aus den Modellierungen der Landschaft bei jedem Licht ihr Wesen herauszulesen oder Zufallskonstellationen zu einem Bild zu verdichten. In seiner beharrlichen Suche nach Wesen und Würde des Gesehenen ist Martin Linsi auf gelassenste Weise unzeitgemäß, so daß man eine späte Ahnung da von gewinnt, warum die Kunst– in des Wortes tiefster Bedeutung – einstmals heiter genannt worden ist.Erste Monografie zum Werk des Schweizer Fotografenmit Bildern aus vier Jahrzehnten