Zweitausendeins Dokument

Das Hörwerk. Märchen, Legenden, Erinnerungen aus dem Orient

von

„Ihr Märchenpublikum lauschte und schloss die Augen … ließ sich bezirzen, verführen, entführen – hinführen in die Märchenwelt des Orients, an die ‚Nachtfeuer der Karawan-Serail‘“ Henrike Leonhardt, Bayerischer Rundfunk

Elsa Sophia von Kamphoevener:

Das Hörwerk – Märchen, Legenden, Erinnerungen. 27 Stunden 45 Minuten. 2 MP3-CDs.

„Können Sie erzählen? Sie müssen erzählen, nicht nur fünf Minuten, ganze Abende und Nächte lang“ – es war ein junger Rundfunkjournalist, der Elsa Sophia von Kamphoevener wegen ihrer ungewöhnlichen Erscheinung in der Kantine des Süddeutschen Rundfunks angesprochen hatte. Als sie dann miteinander sprachen, zog ihre Stimme ihn in seinen Bann. Noch am selben Abend saß die Baronin, wie sie sich selbst nannte, im Studio und erzählte. Sie verweigerte einen Stuhl und saß, mit den Beinen baumelnd, auf dem Tisch. Innerhalb weniger Minuten hatte sich im ganzen Haus herumgesprochen, dass eine phantastische Märchenerzählerin im Sender sei. Wer noch im Gebäude weilte, kam zu der legendären ersten Rundfunkaufnahme der berühmtesten deutschen Märchenerzählerin dazu. Das war 1951 und Elsa Sophia von Kamphoevener war 73 Jahre alt.

Kamphoevener (1878-1963) war als vierjähriges Mädchen in die Türkei gekommen, ihr Vater, ein preußischer Offizier, war Oberst am Hofe des Sultans, und Elsa Sophia lebte bis zu ihrer endgültigen Rückkehr nach Deutschland (1906) im alten Konstantinopel. Sie selbst erzählte gern, dass sie fünfzehnjährig, als Mann verkleidet durch Anatolien geritten sei und so „an den Lagerfeuern der Karawan-Serail“ den Märchenschatz der Orientalen kennen gelernt habe. Auch im Harem des Sultans, auf den Basaren der Stadt und im Zusammensein mit der großen Dienerschaft der Familie hörte die „preußische Scheherazade“ türkische Märchen und Legenden. Als Elsa Sophia von Kamphoevener 85-jährig starb, war sie Europas einzige Frau, die in die hoch geachtete Gilde der türkischen Märchenerzähler aufgenommen worden war.

„Es war einmal, und es war einmal nicht“, so beginnen viele türkische Märchen, und Elsa Sophia von Kamphoevener vermag den Ambivalenzen, dem Schwebenden mit ihrer faszinierenden Stimme Ausdruck zu geben. Kraftvoll, suggestiv und wunderbar frei erzählt sie ihre Geschichten, sie liest nicht vom Blatt, sondern spricht immer frei. Und so ist jede Aufnahme singulär, denn sie ist eine Meisterin der Improvisation. Mit dem Rundfunk hat sie 1951 ihr Medium gefunden: In den kommenden Jahren spricht sie Stunden über Stunden ihre erinnerten Märchen ein. Türkische Hirtenmärchen, arabisch-sizilianische Legenden, Liebesgeschichten und historische Erzählungen: Sie erzählt mit einer Leidenschaft, die nicht nur Kinder, sondern vor allem Erwachsene in ihren Bann zieht. Später hat sie diese Märchen auch niedergeschrieben und mit großem Erfolg veröffentlicht. Zum ersten Mal liegt nun eine vollständige Hörausgabe der von ihr erzählten Märchen vor.

„Bei uns – denn der Orient ist ja mehr die Heimat – will man niemals etwas ganz Bestimmtes hinstellen, keine Moral geben oder irgend so etwas, sondern man wirbelt die Dinge durcheinander, man macht etwas lebendigen Schaum, ein kleines Gemisch von Lachen, ein kleines Gemisch von Weisheit – und das ganze heißt dann Märchen.“ Elsa Sophia von Kamphoevener

„Jede Verwandlung ist leicht und kommt schnell zustande, wenn der, dem eine andere Gestalt zugedacht ist, sich bereitwillig in solche denkt.“ Elsa Sophia von Kamphoevener

„Wie oft sagt ein Mensch Dinge, die aus ihm gesprochen werden von einer Macht, die er nicht kennt und die seine Zunge, seinen Atem benutzt, um das mitzuteilen, was sie bekannt geben will! Weiß das nicht auch der, der Märchen erzählt und sich geheim verwundert über das, was seine Lippen sprechen? Maschallah. wir sind von Wundern umgeben und wissen es nicht!“ Elsa Sophia von Kamphoevener