Mareike Fallwickl, Das Licht ist hier viel heller

Das Licht ist hier viel heller | Mareike Fallwickl besprochen von Hauke Harder am 8. Oktober 2019.

Bewertung: 5 Sterne

Es fällt schwer, sich diesem Buch zu entziehen. Sobald man weiter in die Handlung eingetaucht ist, will und kann man gar nicht mehr aufhören zu lesen. Mareike Fallwickl, die mit „Dunkelgrün fast schwarz“ debütierte und begeisterte, konnte sich mit „Das Licht ist hier viel Heller“ steigern. Ein intensiver, emotionaler und kluger Leseparkour. Mareike Fallwickl hat mit ihrem zweiten Werk erneut eine enorme Empathie für ihre Figuren und deren Handlungen entwickelt. Es geht im Roman um viel. Doch ufert dieser niemals aus oder ist überladen. Handlungsverlauf, Humor, Spannung und Glaubwürdigkeit sind ausgewogen und wurden kunstvoll eingesetzt und kombiniert. Es geht um Familie und das mögliche Scheitern von Liebe und Freundschaft. Machtmissbrauch steht immer wieder im Vordergrund und zeigt sich unter anderem in der digitalen Scheinwelt, am Beispiel der Buchbranche und im alltäglichen Miteinander. Die #MeToo-Debatte und die feminine Selbstbestimmung sind ebenfalls große Themen im Text.

Der Roman, erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt, liest sich wie ein Countdown bis zur Läuterung oder keimenden Einsicht. So beginnt das Leseereignis mit dem zehnten Kapitel, um dann bei null zu enden. Wenger ist ein Antiheld, ein Autor, dessen neuere Romane nur noch floppten. Er ist ein Egomane, der sich selbst betrauert, seinen großen Erfolgen nachweint und sich von seiner Familie und Freunden verlassen fühlt. Er ist ein Mann, der sich in den Mittelpunkt stellt und sich auch mal nackt auf dem Bett sitzend selber googelt. Seine Frau hat ihn verlassen. Sie lebt mit einem jüngeren Fitnesstrainer zusammen und zelebriert ihren Jugendwahn als Influencerin im Internet. Die gemeinsamen Kinder, Zoey und Spin, besuchen ihn regelmäßig in seiner Junggesellenwohnung und werden Zeugen seiner Verwahrlosung. Zoey und Spin sind fast erwachsen und wurden von ihren Eltern oft alleine gelassen. Sie nennen sich auch nur mit ihren Spitznamen und haben sich geschworen, nicht durch das vorgelebte Elternleben kaputt zu gehen. Doch, inwieweit Zoey und Spin beziehungsfähig sind und sich der Liebe öffnen können, wird sich zeigen müssen.

Wenger, der vor einem Scherbenhaufen steht und eine Schreibblockade hat, erhält eines Tages Briefe. Briefe, die an den Vormieter seiner Wohnung adressiert sind. Dennoch macht er diese auf und gerät in einen emotionalen und gedanklichen Strudel. Die Schreiben sind von einer Buchhändlerin, der etwas Schlimmes zugestoßen ist und die darüber ehrlich und wahrhaftig schreibt. Wenger liest diese Schreiben und es bricht in ihm etwas Neues aus. Aber auch Zoey liest diese Briefe und auch in ihr werden durch diese Worte Barrieren gebrochen und sie kann sich aus ihrer Verpuppung lösen, denn auch sie hat etwas Schreckliches erleben müssen. Wir werden Zeuge, wie weit Wenger sich seinem Weltbild stellt und seine Kinder sich dem Leben und der Liebe stellen können.

Es geht um Ehrlichkeit und darum, das Unausgesprochene ans Tageslicht zu bringen. Sich aufeinander einlassen und nicht nur ein Abbild der digitalen Welt zu werden. Man sollte wieder lernen genau zu beobachten, füreinander da zu sein und im richtigen Moment auch den Mund zu öffnen. Ein wichtiger, aktueller Roman, der aufwühlt, oft emotional trifft und bis zum Ende begeistert. Kein Wohlfühlbuch, aber ein Roman unserer Zeit, der gelesen gehört und über den man sprechen sollte.

Zuerst besprochen im Leseschatz von Hauke Harder (Buchhandlung Almut Schmidt)

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