Ana Marwan: „Der Kreis des Weberknechts“

Der Kreis des Weberknechts | Ana Marwan besprochen von Hauke Harder am 1. November 2019.

Bewertung: 5 Sterne

Wieder so ein kleiner, feiner literarischer und philosophischer Roman aus dem Otto Müller Verlag. Durch den Inhalt und die Sprache werden bei diesem Debütroman Erinnerungen an die Werke von Husch Josten und Marlen Schachinger geweckt. Es geht um den Gedankenkreislauf eines Egomanen,  der sich durch sein Schreiben an einem Buch und das zufällige Aufkreuzen einer Nachbarin in seinen und ihren Lebensfäden verheddert.

Ana Marwan wurde 1980 in Slowenien geboren und lebt in Wien. Ihr erster Roman „Der Kreis des Weberknechts“ ist belebt von skurrilen Figuren und  ist ein schöner, kluger und ironischer Lesespaß.

Karl Lipitsch ist sehr auf sich selbst fixiert und mag keine anderen Menschen, besonders Frauen stören öfters sein Weltbild. Er nennt sich selbst einen Misanthropen und verbringt seine Lebenszeit am liebsten lesend und schreibend. Er schreibt an seinem großen Werk. Es wird wenig Umfang haben, soll aber seinen Geist beleuchten. Warum schreibt er es überhaupt, wenn er Menschen so wenig mag und auch den Lesern des kommenden Werks weniger zutraut als sich selbst? Auch was er schreibt, bleibt dubios. Am Ende meint er sich an seine Zukunft zu erinnern und durch diese Fixierung des Zeitenstrahls, der letztendlich ein Kreis für ihn wird, erahnt man seine Gedankenspielereien. Die Zeit steht immer wieder im Mittelpunkt und wird auch durch seine Proust-Lektüre bestärkt.

Beim Schreiben ist der nicht sehr sympathisch wirkende Lipitsch gerne für sich. Doch wandern seine Gedanken neuerdings stets zu der Nachbarin. Auf einer Rückreise am Flughafen haben die beiden sich zufällig getroffen. Da Mathilde kurz seinen Koffer sieht, erkennt sie seine Adresse und ist über diesen Zufall sehr begeistert, denn dass die beiden sich nicht erstmalig auf der Straße, sondern fern des Wohnorts getroffen haben, ist für sie ein schöner Zufall. Er insistiert, nur weil es eine Entfernung zum wahrscheinlicheren Treffpunkt gibt, muss es doch nicht immer ein Wink des Schicksals sein. Doch bleibt die Nachbarin Mathilde nun in seinem Wirkungskreis. Sie sucht das Gespräch, bringt Tee und Kuchen und lädt ihn zu ihren geselligen Abenden unter Nachbarn ein. Er, der Einsiedler, beginnt sich langsam zu öffnen. Doch die tatsächlichen Gedanken, Wünsche und Gespräche verlaufen abweichend von seinen inneren Monologen. Seine Innenwelt beginnt sich zu verändern. Allerdings bleibt er unnahbar und empfindet sich stets anders, besonders und ihr überlegen. Auch Mathilde sieht etwas in ihm und denkt ihm gegenüber die Überlegene zu sein. Als die Gespräche auf Proust kommen, muss er ihr zugestehen, dass sie auch sehr belesen und gebildet ist. Die Treffen und ihre netten Salonfeste mehren sich und Lipitsch empfindet langsam mehr als Interesse, es wird Zuneigung, wenn nicht sogar Liebe. Er versucht, sich aus diesem neuen Lebenskonstrukt zu winden, aber je mehr er unternimmt und versucht sie aus seinen Gedanken zu verbannen, desto fester werden die Fäden, die sie um ihn, gleich einem Netz, ausgeworfen hat. Die Nähe, die er nicht ertragen kann, wird ihm durch eine Reise, die sie unternimmt, genommen. Die Distanz schmerzt ihn dann aber und die neu entdeckte Freiheit ist für ihn keine echte. Lipitsch schreibt nicht nur an seinem Werk, sondern auch Briefe an Mathilde. Er beginnt sich erneut im Lebenskreis zu verrennen…

Ein Roman über die Muster des Zwischenmenschlichen. Mit sehr viel Beobachtungsgabe, Sprachgefühl und Humor beleuchtet die Autorin das Wechselspiel innerhalb von Beziehungen. Dieser Roman ist eine feine Entdeckung.

Diese Rezension ist zuerst erschienen auf Leseschatz der Buchhandlung Almut Schmidt.

Marina Büttner vom Blog literaturleuchtet meint dies sein „womöglich der schönste Debütroman dieses Jahres“.

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