Carlos Gamerros „Die 92 Büsten der Eva Peron“

Die 92 Büsten der Eva Perón | Carlos Gamerros besprochen von Hauke Harder am 23. Oktober 2018.

Bewertung: 5 Sterne

Ein satirischer Gesellschafts- und Politikroman. Die Handlung spielt in den 1970er-Jahren in Argentinien. Ernesto Marroné kommt von einem Golfnachmittag nach Hause und sieht ein Che-Guevara-Poster an der Wand im Zimmer seines pubertierenden Sohnes. Jetzt beginnt er zu erzählen, denn ihm verdeutlicht das Poster, dass er über seine Vergangenheit bei der Guerilla nicht schweigen darf. Nicht das die Geschichte ein Geheimnis gewesen wäre. Auch ist die Geschichte des Landes keine gänzlich unbekannte. Die Handlung spielt in der ersten Hälfte der siebziger Jahre. Die politische Situation ist fiebrig und das Land steht kurz vor einem erneuten Putsch. Die Montoneros, die argentinische Stadtguerilla, haben sich gebildet und verbreiten ihren Schrecken.

Der Held des Romans ist Ernesto Marroné, ein angestellter und karrierebesessener Einkaufsleiter. Er ist belesen und liest viele Manager- und Marketingwerke, die er zu Teilen sogar auswendig aufzusagen versteht. Er liebt den Vergleich von Marketing mit fernöstlichen Weisheiten oder mit Werken der Literatur. Er hat großen Spaß, wenn einer der Texte sich trotz reiner Wirtschaftsanalyse mit Shakespeare-Figuren oder -Zitaten schmückt. Besonders begeistert ist er von einem Werk, das sich auf Don Quijote bezieht. Der Vergleich des Kampfes mit den Windmühlen könnte auch gut zu den folgenden Ereignissen passen, die sich in Ernestos Leben abspielen.

Er ist Einkaufsleiter in einer großen Firma, hat aber seinen Blick schon viel weiter auf der Karriereleiter schweifen lassen. Dabei ist ihm auch erduldete Erniedrigung nicht zuwider, denn beim Vorstellungsgespräch zu seiner jetzigen Einstellung musste er sich wahrlich entblößen und sogar sein Hinterteil untersuchen lassen. Seitdem leidet er beständig unter Verstopfungen, die nur durch wahre Anerkennung seiner Person, seines Verstandes und Fleißes Erlösung findet. Doch sein wahres Abenteuer beginnt mit der Entführung des Generaldirektors des Bauunternehmens, für das Ernesto tätig ist. Entführungen sind keine Seltenheit zu dieser Zeit in Argentinien, doch diese Art irgendwie schon, denn die Entführer fordern kein Lösegeld, sondern sie verlangen, dass in jedem Raum der Firma Büsten von Eva Perón aufgestellt werden. Eva „Evita“ Perón, die verstorbene Präsidentengattin gilt weiterhin als Wohltäterin der Nation und ist ein Idol der kämpferischen Arbeiterklasse.

Ernesto Marroné, der trotz der Knappheit an Ressourcen ein guter Einkaufsleiter ist, wird beauftragt, die Büsten zu besorgen. Er berechnet, dass er genau 92 Büsten benötigt und sieht in seiner Aufgabe die Chance, in der Firma als Mitbefreier des Bosses großes Ansehen zu erlangen. Doch die Beschaffung wird immer schwieriger und Ernesto stolpert in immer bizarrere Situationen.

Ein satirischer Blick auf die argentinische Politik und Gesellschaft. Teilweise mit feinem, aber auch mit derbem Humor. Ein literarischer Lesespaß und politischer Schelmenroman.

Zuerst veröffentlicht in Hauke Harders Leseschatz.

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