Willkommen und Abschied

Willkommen und Abschied | Carlos Peter Reinelt besprochen von Hauke Harder am 19. Juni 2019.

Bewertung: 5 Sterne

Durch die konkrete Poesie wird eine konzentrierte und schockierende Geschichte zum Thema Flucht vermittelt. Der Text und der Inhalt werden durch die Sprache und die Drucktechnik erlebbar und nachvollziehbar.

Das kleine Bändchen ist ein poetisches Kunstwerk, denn man erahnt bereits beim Betrachten, worum es geht und wie es endet. Der eigentliche Text ist auf jeder Seite in einen mittleren Kasten gesetzt, der umrahmt wird vom Titel des Goethe-Gedichtes: „Willkommen und Abschied“. In dem Gedicht von Goethe geht es um die Reise zu der Geliebten und der Vorfreude auf diese. Hier geht es um eine Flucht aus der Heimat mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Stilistisch und grafisch wird somit bereits die Situation des Textes dargestellt. Ein LKW, wohl ein Kühllastwagen, in dem sich die Handlung abspielt, wird umzäunt mit der Anspielung auf klassische Lyrik. Dieser Textblock, der das Innenleben dieses grausamen Transportes darstellt, wird von Seite zu Seite dunkler bis er ganz in unleserlicher Schwärze mündet.

Der Erzähler ist ein Mann, der oft Flucht und das Geschehende um ihn herum beobachtet, sofern er dies kann, und kommentiert. Anfänglich ist es noch ein Genervtsein, doch durch die Enge, die schlechte Luft, das Geschrei und den Gestank wird er immer gereizter. Sein Innenleben und seine Ausbrüche werden zusätzlich durch die Schriftstärke verdeutlicht. Ist er in Rage, vergrößert sich das Schriftbild, und wenn er sich zur Beruhigung zwingt oder er sogar droht einzuschlafen, wird der Text kleiner und kleiner und somit unleserlicher. Er erzählt von seiner Heimat in Syrien und wie die aktuelle alltägliche Gewalt ihn dort fortgetrieben hat. Als ein Freund auf dem Weg zum Basar erwürgt wird, ist für ihn klar, er muss dort weg. Er bezahlt Schleuser und sein Ziel ist Österreich und, sofern er weiteres Geld auftreiben kann, gerne Schweden. Seine letzte Etappe verbringt er in diesem Kastenwagen. Er schätzt die Anzahl der Mitfahrenden auf sechzig Menschen, die bereits seit Stunden eingepfercht sind. Unter ihnen auch Alte und Kinder, die durch die Strapazen gepeinigt und im LKW ums Leben kommen.

Man bekommt durch die Sprache und Gesamtgestaltung des Buches einen Eindruck von der Situation und man liest beschämt und voller Entsetzen weiter. Es sind nur wenige Seiten und Worte nötig, um den ganzen Schrecken anzudeuten. Mit der immer dünner werdenden Luft wird es auch für die Menschen im LKW und uns, die Leser, immer dunkler.

Das ganze Ausmaß dieser Tragödie wird vom aktuellen Zeitgeschehen wohl getragen und verdeutlicht die vielen grausamen Fluchterfahrungen. Im Jahr 2015 wurde in Österreich ein LKW mit 71 Flüchtlingen von der Polizei gestoppt, die alle bereits kurz nach der Abfahrt in Ungarn erstickt sind. Diese Schleuser hatten wohl mehrere solcher Kühllastwagen besessen. Der LKW war luftdicht und auch die Kühlung sei nicht angeschlossen gewesen. Die 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder aus Syrien, Afghanistan und Irak waren innerhalb von anderthalb Stunden verstorben.

Ein bewegender und schockierender Text. Ein grausam poetisches Debüt. Der Autor ist ein junger Student für Deutsch, Philosophie und Psychologie in Salzburg. Er ist politisch und sportlich aktiv und kann sich auch (wie ich) für Heavy Metal begeistern. Dass sich dieser junge Mensch dieses brisanten Themas angenommen hat, ist bemerkenswert und es ist ein lohnenswertes Kunstwerk entstanden, das den Leser erstarren lässt.

Zuerst veröffentlicht von Hauke Harder im Leseschatz der Buchhandlung Almut Schmidt

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