Ekaterine Togonidze: „Einsame Schwestern“

Einsame Schwestern | Ekaterine Togonidze besprochen von Hauke Harder am 4. April 2018.

Bewertung: 5 Sterne

Ein Buch, das Toleranz lehrt und uns den menschlichen Zusammenhalt vor Augen führt. Jeder Mensch ist anders und doch sind wir alle verbunden und uns eint wohl mehr, als uns trennt. Toleranz und Mitgefühl sind die tragenden Stützen eines gelungenen Miteinanders.

Ekaterine Togonidze hat nicht nur Georgiens Literaturlandschaft mit ihren einsamen Schwestern bereichert. Zwei unterschiedliche Stimmen zweier getrennter Persönlichkeiten. Doch sind sie gezwungen, sich fast alles im Leben zu teilen. Auch den Körper. Die siamesischen Zwillinge sind von der Taille abwärts miteinander verbunden. Sie nutzen jede für sich ihren kleinen Radius an Freiheit, um sich von der Schwester abzugrenzen. Sie suchen ihre Flucht in Worten und beginnen jede für sich Tagebuch zu schreiben. Diese Dokumente sind es, die durch ihre jeweils eigene Sprache und Emotion dem ganzen Buch Leben einhauchen. Die Bildung und den Wortschatz haben sie von der Großmutter, den Magazinen und durch Fernsehsendungen sowie Filme erworben. Denn sie leben versteckt. Die verletzlichen Kinder wurden bis zu ihrem Teenager-Alter im Verborgenen gehalten. Die Mutter ist bei ihrer Geburt verstorben und der Vater hat sich der Vaterschaft entzogen. Der letzte Kontakt, den die Eltern hatten, war bei einer Fahrt auf einem Riesenrad, wo er sich, als sie noch eine Runde fuhr, aus dem Leben der werdenden Mutter verabschiedete.

Lina und Diana, die einsamen Schwestern, leben seit ihrer Geburt bei der Großmutter, die sie vor der Außenwelt beschützen möchte. Sie leben in armen Verhältnissen und kennen nur die Wohnung als ihren Lebensraum. Lediglich Zaza, der ab und zu die Einkäufe oder Erledigungen macht, bringt einen Hauch des Lebens von draußen mit in die Stube. Die Mädchen werden aber immer erwachsener und es keimt in ihnen der Wunsch nach einem eigenen Leben. Diana beginnt als erste zu schreiben. Sie beginnt ihr Leben zu reflektieren und will ihre jetzige Situation nicht akzeptieren. Sie bleibt sachlicher bei ihren Beobachtungen als ihre Schwester, Lina, die nun ebenfalls ihre Gedanken zu Papier bringen möchte. Lina nimmt alles etwas verspielter, fast schon sinnlicher wahr und möchte es auch literarisch umsetzten. Sie versucht Gedichte zu schreiben, die Natur im Hof und vor den Fenstern wahrzunehmen und in Worte zu kleiden. Die Tagebucheintragungen unterscheiden sich auch gleich zu Beginn der Einträge:  Diana schreibt die Tageszahlen als Ziffer und Lina beginnt stets mit dem ganz ausgeschriebenen Datum. Ihre Geschichte wird nun chronologisch und abwechselnd anhand ihrer persönlichen Einträge erzählt.

Die dritte Perspektive im Roman ist die des Vaters, Rostom, der durch die Anschreiben eines Krankenhauses erst von der Existenz seiner Töchter erfährt. Die siamesischen Zwillinge sind unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Die Leichname wurden daraufhin auf Rostoms Kosten verwahrt und er soll bestimmen, was nun mit den Körpern passieren soll. Erst jetzt erfährt er vom Leben seiner Töchter und bekommt durch ihre Tagebucheinträge einen Einblick in deren ergreifendes Leben. Beide waren durch die Einsamkeit geprägt und mit wenig Mitgefühl aufgewachsen. Besonders nachdem die Großmutter verstarb, waren Lina und Diana wehrlos und wurden missbraucht und durch ihre Behinderung sozusagen auch noch ausgestellt.

Ein ungewöhnlicher und ergreifender Roman, der in kurzen Szenen vieles zu vermitteln versteht. Es ist ein menschliches, gesellschaftliches Werk, das somit auch politisch ist. Leben ist Vielfalt. Auch wenn eine starke Bindung besteht, sind wir doch alles Individuen. Das Gefühlsleben zweier Menschen, die auf mehreren Ebenen angekettet sind, macht dieses Buch zu einem besonderen.

zuletzt veröffentlicht auf www.leseschatz.de

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