Henning Schöttke, Invidias Gesetze

Invidias Gesetze | Henning Schöttke besprochen von Hauke Harder am 28. November 2019.

Bewertung: 5 Sterne

Henning Schöttke hat nun den fünften Roman seines Todsünden-Zyklus veröffentlicht. Diese Reise reift von Buch zu Buch und  bekommt immer mehr Tiefgang. Die Romane von Henning Schöttke sind innerhalb des ganzen Zyklus eingebunden, können aber jeder für sich stehen und apart gelesen werden. Doch ist es stets wie ein gutes Nachhausekommen. Man trifft auf alte Bekannte, findet Anspielungen aus anderen Kapiteln, Charakteren oder Büchern, die einen erinnern und nach Beenden des Textes erstaunen lassen. Jedes der Werke steht symbolisch für eine Todsünde und überträgt die Bedeutung der Sünde, sofern man davon sprechen kann, in die Moderne. Es sind stets Entwicklungsromane, die Frauen auf ihren Lebenswegen begleiten. Dabei wird der Zeitgeist stimmungs- und kunstvoll eingefangen sowie existenzielle Lebenssituationen und Grundlagen thematisiert.

„Invidias Gesetze“ erzählt die Geschichte von Invidia, die in den 50er Jahren aufwächst und in der Schule auf Recht und Unrecht gestoßen wird. Sie ist interessiert an den Fragen rund um Schuld und Strafe. Ihre Eltern führen eine Zwangsehe und der Vater neigt zu Wut- und Gewaltausbrüchen. Die Mutter, die oft das Opfer des Vaters wird, sucht ihren Trost in der Religion und steigert dies bis zum Krankhaften. Invidia ist anfänglich noch zu klein, um die Schieflage im Elternhaus zu erkennen. In ihr regt sich etwas, das sie immer mehr zu faszinieren scheint. Anfänglich fesselt sie ihre Puppen, beginnt dann Bilder von gefesselten Menschen zu sammeln und bekommt immer mehr Fesselfantasien. Dies behält sie für sich und vertraut sich nicht einmal ihren älteren Geschwistern an.

Als der Vater immer öfter fremdgeht und Gewalt ausübt, ist es Invidias ältere Schwester, die den Vater mit einem seiner Golfschläger aus dem Haus treibt. Die Mutter, die immer voller Scham agiert, flüchtet sich ganz in ihre fromme Welt. Invidia beobachtet eines Tages auf dem Schulhof, wie ältere Kinder einen viel jüngeren ärgern und dabei ein Fix und Foxi-Heft entwenden und beschädigen. Dieser Moment ist einer jener Schlüsselmomente im Leben von Invidia, die sich nun fortlaufend Gedanken über Recht und Unrecht macht. Sie ist introvertiert, da sie ihre Fantasien besonders als Teenagerin nicht einzuordnen weiß und sich als unmoralisch empfindet. Auf ihrer ersten Party lernt sie die erste Liebe kennen, hört aber auch erstmalig etwas über Masochismus und Sadismus.

Als Erwachsene strebt Invidia eine juristische Laufbahn an und wird Staatsanwältin für Sexualdelikte. Dabei quälen sie ihre eigenen Fantasien und die dadurch resultierenden Schuldgefühle. Ferner schleicht sich eine Bedrohung in ihr Leben. Das beklemmende Gefühl beginnt mit ausgetauschten Bonbons in ihrem Wagen. Hat Invidia sich mal selbst ein falsches Urteil über jemanden gebildet? Was wird aus ihren Fantasien? Kann sie diese ausleben oder therapieren? Somit ist „Invidias Gesetze“ ein Entwicklungsroman, der von den ganz genauen und glaubhaft gezeichneten Charakterisierungen lebt, aber auch einen enormen Spannungsbogen aufbaut.

Die Romane, die in keiner festgelegten Reihenfolge gelesen werden müssen, sind großartig und machen süchtig auf die jeweiligen Frauenschicksale in den anderen Texten. In jedem Buch gibt es versteckte oder sehr offensichtliche Verknüpfungen mit den anderen Figuren und Geschichten. Es gibt viele Stellen aus den anderen Romanen, die einen Zusammenhang mit „Invidias Gesetze“ haben. Dies macht einen der Reize der Bücher aus, denn somit wird der gesamte Romanzyklus ein Gesamtkunstwerk, in dem man stets Neues entdecken und sich bei jedem Buch an die anderen erinnern kann. So trifft man z.B. wieder auf Gula, Petra oder Lena oder stolpert beim Lesen in Szenen, die man aus den anderen Büchern bereits kennt, weil es Berührungspunkte zwischen den Protagonisten gibt.

Henning Schöttke wächst als Autor mit seinen Werken und Figuren. Die Romane sind immer eine Reise in Zeit und Raum und eröffnen dem Leser viele neue Ansichten. Die Bücher sind Unterhaltung auf hohem Niveau und gleichzeitig Literatur, die fesselt und begeistert. Mit wenigen Skizzen zeichnet der Autor Figuren und Szenerien, mit denen man gerne seine Zeit verbringt oder in die man sich immer wieder gerne begibt. Man leidet, liebt und lebt mit den Charakteren.

Zuerst veröffentlich im Leseschatz der Buchhandlung Almut Schmidt.

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