Dystopie trifft auf Fantasy… und versagt auf ganzer Linie

Das Juwel - Die Gabe | Amy Ewing besprochen von Inken am 27. Oktober 2017.

Bewertung: 1 Sterne

Violet Lasting hat eine besondere Gabe (wie hunderte anderer Mädchen ihrer Welt auch), denn sie kann durch die Kraft ihrer Gedanken etwas wachsen lassen. Sie wird bei einer Auktion von der Herzogin vom See gekauft, entkommt der Armut und lebt nun ein Leben im Luxus. Der Preis: Sie muss der Herzogin ein Kind schenken. Oder auch kürzer: Prunkvolle Schlösser, schöne Kleider, rauschende Feste. Denn um wirklich vielmehr geht es auch nicht.

Das Grundthema der Leihmutterschaft zusammen mit den Auspizien war definitiv eine sehr gute Grundidee und hätte schon allein aufgrund des genetischen Aspekts interessant werden können. Die Surrogate, so werden die Mädchen genannt, sollen den Adligen Kinder schenken und dabei das Aussehen, den Charakter der Sprösslinge nach den Wünschen der Eltern beeinflussen. Mit dem Charakter ist es schwierig, aber das Aussehen und die Intelligenz, wird die Wissenschaft sicherlich in naher Zukunft beeinflussen können. Ein Thema, das mir in Büchern noch nicht so häufig begegnet ist. Leider geht dieser faszinierende Aspekt einfachen unter. Autorin Amy Ewing fokussiert sie sich bedauernswerterweise auf prunkvolle Kleider und oberflächliche Figuren. Es hapert (mal wieder) an allen Ecken und Enden.

Angefangen bei Protagonistin Violet. Sie ist wunderschön, unglaublich talentiert, sie hat eine für ihre Verhältnisse glückliche Familie, sträubt sich gegen ihr zukünftiges Leben als Surrogat … und so weiter, und so weiter. Das unspektakulärste ist noch, dass Violet
aus dem Sumpf stammt, dem ärmsten der fünf Ringe der Stadt so wie alle anderen Surrogate auch und die Auspizien beherrscht, und dass natürlich herausragend. Man könnte sagen Violet ist eine Mary Sue, aber anderseits ist sie das auch wieder nicht. Sie wirkt von Anfang an sehr weinerlich und suhlt sich in Selbstmitleid und beschwert sich über ihre Situation. Dabei müsste man meinen, die Mädchen sind indoktriniert ihr Leben als Surrogat als Ehre, als Privileg zu empfinden und schließlich wissen sie ja nicht, was tatsächlich im Juwel vor sich geht. Verwunderlich war auch, dass Violet in vier Jahren Ausbildung scheinbar nichts gelernt hat, jedenfalls keine höfische Etikette so oft wie sie unnötigerweise ins Fettnäpfchen tritt. Ebenso verwunderlich ist, dass sie, obwohl sie in bitterer Armut aufgewachsen ist, den Wert der Dinge, die ihr geschenkt werden nicht schätzt und sie sogar vorsätzlich zerstört. Violet ist keine Mary Sue, aber dafür eine unglaublich nervige, kindische und fast dümmliche Persönlichkeit, die ihren Kopf einfach nicht zum Denken benutzt. Die einzigen Szenen, in denen Violet mir sympathisch war, waren die Momenten, in denen sie Cello spielte und sich von der Musik tragen ließ.

Die Nebenfiguren glänzen mit seltenen Auftritten und sind allesamt sehr blass, sodass sie mir kaum im Gedächtnis geblieben sind. Wenn sich einer von ihnen gegen das System auflehnt, steckt auffällig oft eine kleine Schwester dahinter (Primrose lässt grüßen!), als gäbe es keine anderen Motivationen, die den Figuren eine Hintergrundgeschichte gegeben hätte. Auch bei der Herzogin vom See versucht Amy Ewing ihr mehr Tiefgang zu geben, sie wirkt dadurch aber eher bipolar als vollkommen rund.

Und dann ist da ja noch Ash und die furchtbare Liebesgeschichte. Ash, lieber Ash, wärst du doch niemals in Violets leben getreten. Die Liebesgeschichte hat den letzten Funken Hoffnung darauf zerstört, dass Violet noch aufwacht, aufhört zu jammern und endlich damit beginnt zu rebellieren. Aber Ash ist wie alle anderen ein unglaublich blasser Charakter und ebenso weinerlich wie seine Liebste. Violet begegnet zum ersten Mal einem hübschen jungen Mann, den sie attraktiv findet und steigert sich geradezu in diese „Beziehung“, von Schwärmerei kann man wirklich nicht sprechen. So ist eine Protagonistin wohl noch nie mit ihrem Love Interest zur Sache gekommen, sodass diese Liebesgeschichte nicht nur überstürzt, unglaubwürdig und völlig fehl am Platz ist, es ist auch ein Wunder, dass der behandelte (Frauen)Arzt keinerlei Veränderungen feststellt…

Die Handlung, wenn man es denn eine Handlung nennen kann, besteht aus flachen Erklärungen, ist vorhersehbar und so fokussiert auf die Liebesgeschichte, dass es einfach nicht spannend wurde. Der Schreibstil von Amy Ewing ist sehr einfach gehalten und leider auch sehr umgangssprachlich, was einfach nicht in die Welt von Herzogen und Fürsten passt. Die Seiten werden mit Beschreibungen von Kleidern und Räumen gefüllt, die eher wie Lückenfüller wirkten denn als anschauliche Beschreibung des Settings. Und in jeder Welt aus Glitzer, dem rosaroten Mädchentraum, darf das alles entscheidende Schonheitsideal unserer Zeit nicht fehlen. Schön, schöner, am schönsten. Und bist du nicht schön, dann bist du hässlich. Und scheinbar wird immer vergessen, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt.

Fazit: Das Juwel macht seinem Namen keine Ehre. Die Handlung ist dünn, fast gar nicht vorhanden und das letzte Potenzial wird von der unnötigen Liebesgeschichte zerstört. Die Protagonistin in großen Teilen unsympathisch. Die Nebenfiguren blieben blass. Die Geschichte bliebt sehr deutlich hinter ihrem Potenzial und den Erwartungen zurück. Zumal Amy Ewing eine Thematik gewählt hat, mit der wir uns in naher Zukunft auseinandersetzten könnten, wäre da deutlich mehr drin gewesen. Für Selection-Fans könnte die Reihe von Interesse sein, aber ich rate dennoch davon ab.

1 von 5 Sternen

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