Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Südlich der Grenze besprochen von Monika Dlugosch am 15. November 2017.

Bewertung: 5 Sterne

Südlich der Grenze, westlich der Sonne von Haruki Murakami, übersetzt von Ursula Gräfe, btb 2015

Neugierig wurde ich auf das Buch von Haruki Murakami durch den Streit zwischen Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler, der im Jahr 2000 die legendäre Sendung „das literarische Quartett“ beendete. Neugierig war ich auch auf den Satz, den Frau Löffler damals bedeutungsschwanger zitierte: „Ich wollte sie bis zur Hirnerweichung vögeln.“ Zwar kommt der Satz in dem Buch aufgrund der neuen Übersetzung des ehemals unter dem Titel „Gefährliche Geliebte“ erschienenen Buches nicht mehr vor, aber trotzdem kann sich jeder vorstellen, an welcher Stelle der Satz wohl gestanden hat.

Ich persönlich sehe – im Übrigen ganz anders als die genannten Literaturkritiker – die Stärke und das wunderbare Literarische an dem Roman in der Darstellung der Leere und der Unfähigkeit, sich mitzuteilen, die der Protagonist über die Jahrzehnte in sich trägt. Die kurze Zeit, in der er sich diese Leere auflöst, sind verknüpft mit dem Kontakt zu seiner Kindheitsliebe Shimamoto und den wenigen Jahren, in denen er Neues entdeckt und aufbaut.
Einsetzend mit der Geburt des Protagonisten Hajime „… an meiner Herkunft (war) nichts Bemerkenswertes. Mein Vater arbeitete in einem großen Wertpapierhaus, und meine Mutter war Hausfrau. .. Meine Eltern gehörten der Generation an, die durch den Krieg am meisten gelitten hatte… Als ich auf die Welt kam, wies freilich kaum noch etwas auf diesen Krieg hin…“ erzählt der Autor auf großartige Weise, wie sich ein Junge zum erwachsenen Mann entwickelt.
Zwar handelt es sich um einen Vorort in Japan, aber es hätte genauso gut ein Vorort in Deutschland oder USA (moderne kapitalistische Welt im Aufbau) sein können, in dem die Geschichte des Jungen Hajime beginnt. Der Krieg ist vorbei, aber in den Herzen der Menschen ist etwas kaputt und die Kinder bauen sich ihre eigene Welt. Bei Hajime ist es eine warmherzige Freundschaft mit einem Mädchen, Shimamoto, das hinkt und mit der er gemeinsam viel redet und Musik hört. Gleichzeitig entwickelt sich zwischen den beiden eine kindliche Erotik, die im Hintergrund schwelt und aufgrund des Wegzugs von Hajime ein plötzliches Ende findet.

Anders als bei den meisten Menschen begegnet Hajime im Laufe seines Lebens den beiden Mädchen, die seine Entwicklung zum erwachsenen potenten Mann begleitet haben, später wieder. Während die eine ihn magisch anzieht und seine erotischen Gefühle anstachelt, ja, er sich sogar auf eine Weise mit ihr verbunden fühlt, die fast unerreichbar für zwei Menschen scheint, verkörpert die andere seine Schuldgefühle und den bitteren Geschmack, er sei ein schlechter Mann.

Die zwischen den Worten und Sätzen fein eingesponnene Erotik gipfelt in einem einzigen Treffen, in dem der Autor eine sehr sinnliche Erotik erzählt:

Du hast davon geträumt, mich anzuschauen? Meinen nackten Körper zu berühren, während du völlig angezogen bist?“ „Ja, …, ich stelle mir das schon sehr lange vor. Stelle mir vor, wie du nackt aussiehst. Wie dein Penis aussieht, wie hart er wohl wird und wie groß.

In jeder erotischen Begegnung zwischen zwei erwachsenen Menschen schwingt die Musik der Sinnlichkeit mit dem oder der ersten Geliebten mit. Das einzufangen ist Haruki Murakami hervorragend gelungen.
Bedeutungsvoll empfinde ich auch, dass der Autor die erotischste Begegnung des Protagonisten mit dem Tod verknüpft, so dass am Ende des Buches viel Spielraum zum Nachdenken bleibt. In jeder Hinsicht ein lesenswertes Buch.

siehe auch http://www.monika-dlugosch.de/blog-2

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