Harry Bosch sollte von Anfang an genossen werden

besprochen von Piwi M. am 10. Oktober 2017.

Bewertung: 5 Sterne

Meine Liebe zu Harry Bosch entsprang purer Langeweile. Vor dem Rückflug aus den USA nach Hause ging mir der Lesestoff aus, so dass ich im Zeitungsladen auf dem Rundständer mit den vielen Nr. 1 Bestsellern einen Krimi griff, den ich im Flugzeug lesen wollte. So lernte ich Harry Bosch in der Black Box kennen, dem Band 18 einer Serie, die Michael Connelly im Jahre 1992 startete und die heute 22 Teile umfasst.

Was soll ich sagen: schon beim Abheben des Flugzeugs war ich „angefixt“. Die eingängige Schreibweise Connellys hat mir sofort gefallen. Es heißt, als ehemaliger Gerichtsreporter schreibe er schlicht sehr nah an der tatsächlichen Justiz- und Polizeiarbeit. Das mag für die Verfahrensabläufe zwar stimmen. Aber ich glaube kaum, dass es realistisch ist, dass ein Polizeidetektive so regelmäßig gegen Regeln verstoßen und sich mit seinen Vorgesetzen streiten kann, wie Harry Bosch das tut, ohne dass es wirklich ernste Folgen hat. – Auch und gerade in den USA nicht.

Nein, mich faszinierte, dass Bosch kein klassischer Held ist, der immer Recht hat, bestens aussieht, jedes Problem löst und überdies an jedem Finger zwei Freundinnen hat. Er ist vielmehr in der Black Box schon ein mittelalter erfahrener Ermittler, der alleinerziehend eine Tochter hat und mit der Bürokratie seines Arbeitgebers kämpft. Das schöne aber ist, dass z.B. auch erklärt wird, warum diese Bürokratie entstanden ist: so werden nebenbei die Folgen der Rassenunruhen 1992 Los Angeles und in einem anderen Band des O.J. Simpson-Prozesses für Ermittlungs- und Verfahrensabläufe bei Polizei und Justiz erläutert. Das macht die Krimireihe wahrlich nicht zu einem Geschichtsbuch, aber dümmer wird der geneigte Leser auch nicht.

Der eigentliche Kriminalfall der Black Box ist nun nicht schrecklich innovativ, aber nicht unspannend, wobei die Spannung nicht vornehmlich durch den Fall entsteht, sondern durch den Verlauf und die Wendungen der Ermittlungen: Bei Rassenunruhen im Jahr 1992 in Los Angeles wurde eine junge Frau ermordet. Der junge Polizist Bosch ist schon damals am Tatort. Aufgrund des tobenden Mobs bleibt kaum Zeit zur vernünftigen Analyse, so dass der Fall ungeklärt ins Archiv wandert. Durch Zufall ergibt sich 20 Jahre später ein neuer Ansatzpunkt, den Bosch bis zum Ziel verfolgt.

Soweit die Black Box. Sie machte mir Lust auf mehr Bosch, so dass ich dann mit Band 1, dem Black Echo weiterlas, um mich langsam hochzuarbeiten. Heute sage ich, dass ich ein Anhänger Connellys und Boschs bin. Ich mag, dass Harry Bosch von 1992 bis 2017 tatsächlich lebte: er wurde älter, befördert, versetzt, abgemahnt, verliebte sich unglücklich und glücklich, bekam eine Tochter, erlebte Erdbeben in Los Angeles, neue Chefs und Kollegen sowie Umzüge seiner Dienststelle. – Und er wurde älter und bekam hier und da seine normalen Zipperlein. Darüber hinaus blieben die Fälle spannend und Connelly schlicht ein gut unterhaltender Erzähler, wobei das Verhältnis von Fall und Lebensumfeld Bosch immer angemessen blieb. Es tut mir richtig leid, dass es nun mit der Serie zu Ende gehen wird, so dass ich mir den einen oder anderen Band für später aufbewahren werde.

Wer klassische Krimis mag, die den Protagonisten nicht zum Helden stilisieren, ist mit Harry Bosch gut bedient. Allerdings sollte es dann schon die Originalversion sein. Wenn man einmal von Connelly selbst angefixt wurde, ist die Übersetzung nicht mehr so richtig sexy.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert